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8. September 2014

Traditionsmarke St. Moritz und Dachmarke Engadin: stimmt die Balance?

Die Tourismusorganisation "Engadin St. Moritz" hat die anspruchsvolle Aufgabe, das Engadin gemeinsam mit der berühmten Marke St. Moritz zu führen. Wie das gelingt, erklärt CEO Ariane Ehrat im Interview.

„St. Moritz – Top of the World”. Unbescheiden-selbstbewusst kommt sie daher, die Weltmarke des Schweizer Tourismus. Vieles überstrahlt sie im Engadin, und es fragt sich, ob neben ihr in diesem Hochtal  noch etwas anderes strahlen kann. Das hat sich Ariane Ehrat wohl auch gefragt, als sie 2008 CEO der Tourismusorganisation „Engadin St. Moritz“ wurde. Sie soll, neben St. Moritz, auch das Engadin zum Strahlen bringen. Die Organisation entstand aus dem Zusammenschluss der Tourismusorganisationen der elf Oberengadiner Kreisgemeinden. Neben der neuen Dachmarke „Engadin St. Moritz” vermarktet sie die Marke „St. Moritz – Top of the World”.

Frau Ehrat, als Sie 2006 antraten – war in Engadin und St. Moritz touristisch alles einerlei?

Ariane Ehrat: Überhaupt nicht. Das war kein einfacher Prozess, das mondäne St. Moritz mit den anderen Oberengadiner Gemeinden von Bever über Celerina und Sils bis Zernez und Zuoz touristisch zusammenzubringen. Das Verdienst dafür gebührt meinem Vorgänger und dem Vorstand.

Was war daran so schwierig?

Ariane Ehrat: Sie müssen sich vorstellen: Da gibt es St. Moritz, begehrenswert und bekannt in vielen Teilen der Welt. Daneben gibt es auch diese authentischen anderen Oberengadiner Tourismusorte. Jeder war Einzelkämpfer. Jede Gemeinde hatte ihr eigenes, meist bescheidenes Marketingbudget, ihre eigene Strategie und auch ein eigenes Logo. Dem Vorstand und dem damaligen interimistischen Tourismusdirektor gelang es, diese 13 Gemeinden auf einen Nenner zu bringen, damit ein gemeinsames Marketing möglich wurde. Ohne dies gäbe es die gemeinsame Marke „Engadin St. Moritz” auch heute nicht.

Und die Bevölkerung? Hat sie mitgemacht?

Ariane Ehrat: Im Jahre 2006 gab es im Oberengadin eine Volksabstimmung über die Frage, ob elf Gemeinden zukünftig die Tourismusdestination „Engadin St. Moritz” bilden wollten oder nicht – inzwischen sind noch Maloja und Zernez hinzugekommen. Das war eine weise Pioniertat der Oberengadiner, dass sie sich als erste Destination in der Schweiz zusammengerafft und im Jahre 2007 die Tourismusorganisation „Engadin St. Moritz” aus der Taufe gehoben haben.

Das klingt nach großer Harmonie unter allen Beteiligten. Realität ist doch, dass St. Moritz von Bever bis Zuoz alles überstrahlt.

Ariane Ehrat: Das ist doch kein Problem. Wichtig war, dass wir die Wertediskussion solide aufgebaut und durchgeführt haben. Über den Prozess konnte gelernt werden: Wow, das ist wertvoll, dass wir St. Moritz haben! Diese Erkenntnis wurde bei den Diskutierenden ins Bewusstsein gerückt.

Nicht nur St. Moritz hat ja traditionell eine eigene Marke, sondern auch Sils oder Celerina haben Logos. Was geschieht mit denen?

Ariane Ehrat: Waren das Marken? – Wir verkaufen nicht Logos, sondern Inhalte. Die haben wir alle unter der Dachmarke Engadin St. Moritz” subsummiert. Ich kann in einem Katalog ja nicht 13 Ortschaften mit dem Logo verkaufen, sondern die besonderen Inhalte dieser Ortschaften, und solche Identitäten hat jede Gemeinde. Sils z. B. oder auch Pontresina und Celerina verfügen heute dank der gebündelten Marketingkräfte über eine viel größere Reichweite als vor der Bildung der Destination.

Wenn Bildmarken oder Logos verschwinden, dann bedeutet das auch einen Verlust von Heimat. Wie hat die Bevölkerung in diesen Gemeinden reagiert?

Ariane Ehrat: Ich behaupte keineswegs, dass alle direkt Betroffenen zu hundert Prozent glücklich sind. Aber ich denke, unsere Strategie ist nachvollziehbar. Ein Katalog mit einer Auflage von einer Viertelmillion Exemplaren in vier Sprachen ist für eine Engadiner Tourismusgemeinde nicht finanzierbar – unter der Marke St. Moritz oder der gemeinsamen Dachmarke „Engadin St. Moritz” ist es möglich, und plötzlich haben beispielsweise die Silser Hotels einen Auftritt auf dem russischen Markt. Das ist aber nur einer von 17 Märkten, die wir gemeinsam bearbeiten.

Das einzelne Hotel in Sils entscheidet aber selbst, in welchem dieser Märkte es sichtbar sein will, oder?

Ariane Ehrat: Das ist so, ja. Und da dies über das Marketingbudget der Tourismusorganisation läuft, bezahlen sie nicht zusätzlich dafür. Aber ich erwarte, dass sich die Hoteldirektion z. B. mit dem russischen Markt auseinandersetzt, dass Hoteliers, die Ski- oder Bergsteigerschule vor Ort an unseren Workshops über die einzelnen Märkte teilnehmen und so einen Eindruck davon erhalten, was ein russischer, chinesischer oder auch brasilianischer Gast erwartet und braucht. Das ist für mich eine absolute Bedingung, um von unseren Marketingaktivitäten profitieren zu können.

Jetzt haben Sie zwei Marken: seit 2009 als Dachmarke „Engadin St. Moritz” und seit 1930 „St. Moritz”. Für Nicht-Ortskundige ist das etwas verwirrend und die Differenzierung eher diffus.

Ariane Ehrat: Erstere steht als Dachmarke für das Engadin als „das inspirierende Hochtal der Alpen”, wie es in unserem Positionierungs-Statement heißt. Damit bewerben wir unser touristisches Angebot offensiv nur dort, wo wir mit dem Engadin die Werthaltungen unserer potenziellen Gäste treffen, z. B. in der Schweiz, Deutschland und Italien.

Und St. Moritz?

Ariane Ehrat: „Die schillerndste Alpendestination der Welt”, lautet hier das Positionierungs-Statement, und so wird diese Marke auch eingesetzt.

Im Dezember 2009 haben Sie Ihre neue Markenwelt implementiert und die Marketingaktivitäten gebündelt. Gibt es denn schon erste Erkenntnisse über die Folgen an der Verkaufsfront?

Ariane Ehrat: Wir haben Russland und Japan revitalisiert, zwei Märkte, die in den letzten Jahren stagnierten. Heute haben sich die Logiernächte aus diesen Ländern praktisch verdoppelt. Dann haben wir China, Indien, die Golfstaaten und Brasilien in unser Marktportfolio aufgenommen – aufgrund der aktuellen Krise wesentlich früher als ursprünglich geplant. Wir verzeichnen hier zweistellige Wachstumsraten, noch auf tiefem Niveau natürlich.

Genügt das?

Ariane Ehrat: Als international ausgerichtete Destination kommt mit der Globalisierung ein unglaublicher Druck auf uns zu. Wenn ich sehe, was in Singapur oder in Malaysia oder überhaupt in Südostasien touristisch veranstaltet wird, wie ein Sechs-Sterne-Hotel nach dem anderen hochgezogen wird, werde ich schon nachdenklich. Denn die Menschen reisen schnell heute, und die Preise dort sind kompetitiv. Das Engadin ist von diesen Entwicklungen natürlich tangiert.

Als Ausdruck eines globalen Konkurrenzkampfes um den zahlenden Gast?

Ariane Ehrat: Der globale Konkurrenzkampf hat sich in den vergangenen zehn Jahren massiv verstärkt. Ich musste bei Amtsantritt deshalb ganz dringend in die Diversifikation des Marktportfolios investieren. Auch, weil das Engadin traditionell überdurchschnittlich viele italienische Gäste empfängt, was in einem gewissen Sinne eben immer auch ein gewisses Risiko darstellt. Im Grunde hätten wir bereits vor zehn Jahren mit dieser Diversifikation in neue Märkte beginnen sollen.

Sie liegen mit ihren Marken im Fahrwasser der großen Megatrends: Natur und Gesundheit. Genuss und Luxus. Warum also so pessimistisch?

Ariane Ehrat: Das ist sicherlich das Gute daran. Wir haben nun die Werte, die Markenwelt und das Handwerkszeug, das es braucht, um diese wunderbare Gegend hier touristisch optimal zu vermarkten. Wir sind auch flexibel genug, um bei jeder Eventualität den richtigen Pfeil aus dem Köcher nehmen zu können, unabhängig davon, was auf uns zukommt. Da bin ich überzeugt: Die Inhalte, die wir jetzt erarbeitet haben, sind das, was zählt.

Das Interview, das der Journalist Wolfgang Unterhuber für Brand Trust führte, erschien als vollständige Fassung in unserem » Buch „No.1 Brands – die Erfolgsfaktoren starker Marken“

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