Seit einigen Jahren ist eine starke Ausdehnung der Markenführung zu beobachten. Neben den Anbietern von Produkten und Dienstleistungen erkennen auch andere, dass diese ein Erfolgsfaktor ist: Ob Politiker und ihre Parteien, Städte, Regionen und Länder, Krankenhäuser, soziale Organisationen oder Bildungseinrichtungen – sie alle wollen sich zu starken Marken entwickeln.
Denn die Notwendigkeit, bei (potentiellen) Kunden und Stakeholdern eine positive Meinung aufzubauen, ist nicht nur bei Waschmitteln, Autos oder Flugreisen gegeben. Sie ist überall dort unverzichtbar, wo vergleichbare Leistungen in einem lebhaften Wettbewerbsumfeld angeboten werden.
In der Kulturszene ist der Wettbewerbsdruck in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Ende des vergangenen Jahrhunderts, in den Zeiten des Museumsbooms, entstanden viele neue Kulturinstitutionen. Hinzu wuchs die Konkurrenz im privaten Freizeitmarkt durch Musicals, Erlebnisparks und Varietés. Gleichzeitig zogen sich Kommunen und Länder immer mehr aus der öffentlichen Förderung zurück.
Trotz dieser schwierigen Bedingungen fiel es Bühnen und Museen viele Jahre schwer, über die Vorzüge der » Markenführung nachzudenken. Nach wie vor wird das Thema Kulturbranding zwar viel diskutiert, jedoch kontrovers beurteilt.
Das Zaudern hat unterschiedliche Gründe:
Erstens herrscht unter den Kulturschaffenden eine gewisse Skepsis gegenüber der – vermeintlich oberflächlichen und kommerziellen – Idee der Marke.
Zweitens wird argumentiert, dass eine Marke durch Fokussierung entstehe, das heißt: durch Beschränkung auf wenige zentrale Aussagen (zum Beispiel steht Nivea für Pflege), die immer wieder in ähnlicher Weise repliziert werden müssten (zum Beispiel die Niveau-Produkte pflegen die Haut und die Werbung zeigt Menschen mit einem gepflegten Äußeren). Dieses sei bei vielen Kulturinstitutionen aber nicht möglich, da Vielfalt ein wichtiger Bestandteil der Kultur sei.
Drittens sei eine stringente Positionierung, etwa eines öffentlich geförderten Theaters, gar nicht umsetzbar, weil dessen Bildungsauftrag ein wechselndes Programm enthalte, das heute vielleicht eine moderne Inszenierung, morgen eine klassisches Drama und übermorgen eine Komödie oder ein Gesangspiel vorsehe.
Viertens sei die Kulturszene nicht mit der kommerziellen Wirtschaft vergleichbar. Folglich würde Markenführung bei Kulturinstitutionen nicht zum Erfolg führen.
Stimmen diese Befürchtungen? Kann eine Institution der Hochkultur, zum Beispiel ein angesehenes Kunstmuseum, ein Opernhaus oder ein Theater, keine Marke sein?
Mit einer Studie, die von mir an der Hochschule Koblenz verantwortet wurde, stellten wir fest, dass viele Marketingverantwortliche von Kulturinstitutionen das Thema Markenführung generell als sehr wichtig ansehen – doch die Qualität der Umsetzung betrachten sie eher kritisch. Dies bestätigten auch Markenexperten, die außerhalb der Kulturszene aktiv sind und mit der „externen Brille“ einen Blick darauf warfen.
Ein Grund für die geringe Professionalität ist nach Meinung der Befragten das fehlende Markenbewusstsein und das geringe Know-how der Führungskräfte und Mitarbeiter in Kulturinstitutionen. Deshalb ist es an der Zeit, die zuvor genannten vier Befürchtungen als Denkfehler zu entlarven.
Eine Marke ist, wenn sie richtig verstanden wird, keine oberflächliche und kommerzielle Idee. In der Markenführung geht es darum,
historische und aktuelle Spitzenleistungen zu identifizieren,
diese Kernkompetenzen zu Werten zu verdichten, die für Kunden relevant sind und das Unternehmen von anderen unterscheiden,
diese Werte durch die » Markenpositionierung und den » Markenstil auszudrücken.
Dies legt nahe, dass starke Marken immer von innen heraus entstehen und somit bei Mitarbeitern und Beteiligten für Stolz und Identifizierung sorgen. Es geht in der Markenführung nicht darum, mehr zu verkaufen und sich dafür zu verbiegen. Im Gegenteil:
Im Zentrum der Markenführung steht die Steigerung der Zufriedenheit aller Beteiligten – der Kunden, der Mitarbeiter und der Gesellschaft.
Eine Marke steht nicht für die Reduzierung des Leistungsspektrums, sondern für eine Reduzierung des kommunikativen Lärms. Dies wird erreicht, wenn sämtliche Aktivitäten, die der Markenpositionierung dienen, auf ein gemeinsames Thema und einen zentralen Leitgedanken einzahlen.
Auf diese Weise wird eine Marke merkfähig. Dies gilt nicht nur für Produktmarken, deren Leistungsspektrum beschränkt ist: Es gilt auch für Unternehmen und Institutionen, die sich durch eine besondere Vielfalt auszeichnen – auch sie profitieren von einer Fokussierung durch die Marke.
Die Vielfalt des Angebots ist kein Argument gegen die Markenführung. Wenn ein stark differenziertes Unternehmen wie General Electric – eine der stärksten Marken der Welt – es schafft, sein breites Angebot mit einer zentralen Botschaft („Imagination at Work“) zu verbinden: wieso sollte dies für Kulturbetriebe nicht möglich sein?
Weitere Beispiele sind das Chemieunternehmen BASF („The Chemical Campany“) sowie die Destinationsmarken Kitzbühel („The Legend“) und Berlin („Be Berlin“): Auch sie belegen die Vorteile der Markenführung in Bereichen, in denen Vielfalt eine große Rolle spielt.
Eine Marke darf nicht auf das identische Reproduzieren der korrespondierenden Leistung beschränkt werden. Dies mag für Konsumgüter wie Coca-Cola oder Mars weitgehend richtig sein, weil sie über lange Zeiträume an verschiedenen Orten immer wieder in gleicher Qualität und Aufmachung produziert und vertrieben werden.
Es wäre jedoch ein Rückfall in die Anfangszeiten der wissenschaftlichen Betrachtungen des Markenwesens, Marken hierauf zu beschränken. Würde man dieser Logik folgen, könnten Serviceanbieter wie TUI, Lufthansa oder UPS nicht als Marken gelten – denn das Wesen der Dienstleistung (zum Beispiel die Einbeziehung des Kunden) ist, dass sie niemals in identischer Weise erbracht werden kann.
Worum geht es also in der Markenführung? Es geht darum, die Markenleistungen in selbstähnlicher Weise zu reproduzieren. Die Markenführung sorgt für eine Wiederkennbarkeit, eine Handschrift, mit der das Zuordnen der Leistung zur Marke erst möglich wird. Ist das nicht eine Aufgabe, die jeder Theaterintendant und Museumsdirektor ohnehin zu erfüllen hat?
Das Besondere daran wäre nur, dass diese Handschrift den Verantwortlichen überdauert. Nicht jeder Wechsel auf dem Chefsessel würde folglich zu einer programmatischen Neuausrichtung führen. Und dies kann nur im Interesse der Kunst liegen.
Zudem zeigen Kulturmarken wie Guggenheim, Tate, Louvre, Met, Scala, Städel oder Semperoper, die nicht nur ökonomische, sondern eben auch kulturpolitische und ideelle Erfolge zu verzeichnen haben, dass Markenführung für kulturelle Einrichtungen trotz deren Einzigartigkeit funktioniert.
Eine Reihe von Studien und Best Practices machen deutlich, dass die Anwendung von Erfolgsregeln der Markenführung auch bei Kulturinstitutionen fruchtet. Hier sind insbesondere zwei Arbeiten zu nennen, die im » Tagungsband Kulturbranding II (Leipzig, 2009) dokumentiert sind: Baumgarth/Freund belegen einen Zusammenhang zwischen „Markenorientierung“ und „Markterfolg“. Und Bekmeier-Feuerhahn zeigt einen positiven Effekt der „internen Markenvermittlung“ auf „zielgruppenspezifische Erfolge“ und „ideelle, künstlerische Erfolge“ auf.
Die Studie der Hochschule Koblenz über die Markenführung in Kulturinstitutionen macht deutlich: es gibt noch viel zu tun. Dies belegen zahlreiche Aussagen der Befragten. Zum Beispiel:
„Das Thema Marketing ist Kuratoren, Intendanten, Dramaturgen oft ein Fremdwort, ‚Kommerz‘ verpönt: schließlich wird ‚Kunst‘ gemacht.“
„Eine starke Marke kann nur geführt werden, wenn sie vom Kopf eines Museums gelebt und an alle Mitarbeiter weitergegeben wird.“
„Kreativer Chaotenhaufen, es geht um Kunst und nicht um das Geld, keine Kompetenzen.“
Ich bin zuversichtlich, dass meine Argumentation dazu beitragen kann, die Vorurteile, die nach wie vor gegenüber dem Kulturbranding bestehen, abzubauen sowie erste Anstöße zur Professionalisierung von Kulturmarken zu geben.
Falls Interesse an einer Zusammenfassung der Studienergebnisse besteht, freue ich mich über Ihre Kontaktaufnahme unter hjschmidt@hs-koblenz.de.
Autor: » Prof. Dr. Holger J. Schmidt - Professor für ABWL und Marketing an der Hochschule Koblenz
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