Ihr habt angekündigt, Euer Getränkeangebot in Zukunft auch in Kapselform anzubieten. Man soll sich damit seine Coca-Cola oder sein Sprite zu Hause aus dem Home-Mix-Automaten holen können, ohne die Flaschen aus dem Supermarkt schleppen zu müssen. Wenn es mit dem Kaffee geht, wie Nespresso es vorgemacht hat, warum sollte es nicht auch mit Softdrinks funktionieren? Warum sollte man es den Kunden nicht auch hier leichter machen, sich spontan für ein Getränk entscheiden zu können?
Ihr denkt für die weltweite Distribution, an die immer kleiner werdenden Haushalte in den Städten und an den Wunsch der Kunden nach Abwechslung und Portionierbarkeit. Ihr denkt – 99 Jahre nach der Erfindung der Coca-Cola-Flaschenform „Humpelrock“ – an die neuen Lebensgewohnheiten: Ihr denkt richtig. Es verändert sich vieles, auch das Gewohnte – und alles, was heute Tradition ist, war irgendeinmal Innovation.
Als Markenstrategen (Ihr habt uns zwar nicht gefragt ...) treiben uns aber noch ganz andere Fragen an:
Passt Euer Ansinnen zu Eurer Marke?
Darf Coca-Cola seine Formensprache verlassen?
Überschreitet Ihr Eure Glaubwürdigkeitsgrenze?
Gefährdet Ihr Euren Markenkern, der Euch ausmacht, wenn die Konturen-Flasche zur Kapsel wird?
Dass Umweltschützer Ökobilanzen aufgerufen haben, um Euer Vorhaben schrecklich zu finden und um die Kapselmüllberge aufzurechnen, berührt uns weniger als die noch unbeantwortete Frage, wie sich die Veränderung eines Geschäftsmodells auf eine der wertvollsten Marken der Welt auswirken könnte.
Was den technischen Aspekt angeht, sicher. In vielen Restaurants und Clubs der Welt kommen Eure Softdrinks aus Premix-Anlagen. Diese Technik beherrscht Ihr seit Jahren. Natürlich hätte man als Markenhüter zu gerne, dass im offenen Ausschank auch die eigens dafür kreierten Coca-Cola-Gläser mit der gelernten Coca-Cola-Haptik zum Einsatz kämen. Aber dies kann nicht einmal ein Weltkonzern wie Coca-Cola, bei Millionen von Ausgabepunkten, sicherstellen.
Coca-Cola beherrscht das Geschäft, ohne Zweifel. Die Frage stellt sich also nicht aus Kompetenz-, sonder aus Strategiegründen: Wie innovativ darf Coca-Cola sein, damit seine Kraft der gekauften Erinnerung nicht verloren geht? Viele Marken achten viel zu wenig auf ihre Vergangenheit und opfern ihre historischen Spitzenleistungen dem Innovationsdruck. „Hauptsache, etwas Neues!“, scheint zu oft die Devise zu sein – anstatt präzise zu analysieren, ob die Fans dieses Neue auch attraktiv finden.
Coca-Cola war in seiner 118-jährigen Geschichte mäßig innovativ, wenn auch in vielem seiner Zeit um Längen voraus. Die nahezu unverändert gebliebenen grafischen Elemente sind immer noch ein Paradebeispiel für gelungene Durchsetzungsstärke einer Marke. Die Getränke-Palette hat sich nie in Ginseng- oder Kräuterebenen verstiegen. Coca-Cola wird nur am Tresen alkoholisiert, nicht aber vom Anbieter selbst.
Wenn es jedoch um Automaten, PET-Flaschen, Klein/Groß-Verpackungen, Dosen und weltweit funktionierende Distributionskanäle geht, seid und wart Ihr immer am Puls der Zeit. Eure Devise finden wir richtig: Wenn das Produkt selbst die Marke so stark trägt, kann die Ausgabeform variieren.
Also werdet Ihr Eure Kapselmaschine Coca-Cola-like gestalten und Coca-Cola-Gläser in die Haushalte bringen, um Eure Marke stark zu spielen. Ob man Eure Softdrinks dann aus der Flasche gießt oder aus dem Home-Automaten produziert, wird den Fan nicht stören. Eher das Gegenteil wird der Fall sein. Wer nur Lust auf ein Single-Getränk hat, nur auf ein Glas Cola, der ist Euer neuer Fan. Also geben wir Euch in dieser Frage einen Pluspunkt.
Zweifellos gehört die Flasche, die man auch in völliger Dunkelheit an ihrer Form ergreifen könnte, zu Eurer Marke. Ab und zu habt Ihr diese im Laufe der Geschichte kompromittiert: als die Liter-PETs aalglatt daherkamen und man sie von anderen haptisch nicht mehr unterscheiden konnte. Alle anderen grafischen Elemente jedoch habt Ihr so markant erhalten, dass das Risiko einer Verwechslung nie entstanden wäre.
Trotzdem: Wie wichtig ist Euch die Formensprache für Eure Marke? Wir wissen aus vielen Markenprojekten mit unseren Kunden, dass haptische Elemente in Zeiten visueller Reizüberflutung eine immer größere Rolle spielen. Unter Differenzierungsgesichtspunkten wurden markante Formen zu den stärksten Elementen einer Marke, die durch viele Hände muss. So wie Architektur ganze Städte prägt und man an Gebäudeformen ganze Länder identifizieren kann, so haben starke Marken eindeutige Formen. Ein Ferrari wird an seiner Linie erkannt, ein 911-Porsche ebenso. Chanel Nº 5 kommuniziert über seine klare Flacon-Form – genauso wie das Nutella-Glas.
Wir können Euch also nicht raten, die Haptik der Coca-Cola-Flasche gering zu schätzen und dem Nutzenargument zu opfern. Wir würden Euch raten, den Kapseln eine unverwechselbare Haptik zu verpassen. Damit man nie im Dunkeln der Gartenparty eine falsche Kapsel in den Automaten schiebt, nur weil man Farbe und Schrift nicht mehr erkennt. Ihr dürft aus der Flasche, aber nicht aus Eurer Form.
Wir könnten Euch zu viele Fehler aufzählen, die etablierte Marken bei ihrer Formensprache gemacht haben. Man wollte moderner und innovativ sein – stattdessen wurde man austauschbarer und angepasster. Solche Entscheidungen haben kurzfristig dem Kunden gefallen, den Fan hingegen oft enttäuscht. Und der Marke damit geschadet, denn Marken führen und folgen niemandem.
Wir wissen noch nicht, wie Eure Kapseln und Home-Mix-Geräte ausschauen werden. Deshalb bleiben wir in dieser Frage bei einem Unentschieden.
Als Nivea den Kosmetikmarkt erobern wollte und VW einen Phaeton baute, zeigten die Kunden die rote Karte. Von Nivea erwartet man Pflegeprodukte in bewährter vertrauenswürdiger Qualität. Und ein Volkswagen hat ein Fahrzeug für das Volk zu sein und keine Luxuskarosse. Diese Marken haben ihre Glaubwürdigkeitsgrenzen überschritten, das empfinden Kunden und Fans als Verrat.
Wenn Ihr also Eure Getränke in eine unemotionale Kapsel packt, fragt Euch:
Werden Eure Fans überzeugt sein, dass Ihr das könnt?
Werden Sie glauben, dass die Qualität dieselbe sein wird?
Werden Sie sich als Kapselbesitzer der Fangemeinschaft von Coca-Cola-Trinkern genauso zugehörig fühlen, als wenn sie aus der Cola-Flasche tränken?
Es gehört zu den spannendsten wiewohl schwierigsten Aufgaben unserer Tätigkeit, wenn wir uns mit den Kunden den Glaubwürdigkeitsgrenzen ihrer Marken nähern. Wie dehnbar der Kern einer Marke ist, hängt sehr stark von den Grundwerten und dem Grundversprechen ab, welche die DNA einer Marke ausmachen. Wer sich davon zu weit entfernt, wird grausam abgestraft.
Ihr von Coca-Cola würdet ein viel größeres Risiko eingehen, würdet Ihr Euch in Wein- und Bierproduktion versuchen oder auch noch eigene Spirituosen auf die Coca-Cola-Tracks packen. Das Grundversprechen von erfrischenden Softdrinks mit weltweiter Distribution wird durch die geänderte Verpackung und die noch ungewöhnliche Produktionsweise kaum gefährdet.
Eure Markenkernwerte binden Euch nicht an ein Produktions- und Verabreichungsritual, wie es bei anderen Getränkeherstellern der Fall ist. Eure Rezeptur ist nach wie vor geheim und unnachahmlich geschützt, während Biere aus Reinheitsgebot und Schankritual mit Bierkrone ihre Markenstärke ziehen.
Die Coca-Cola-Kapsel könnte eher noch das Gefühl der geheimen Rezeptur verstärken als verwässern: Der Zauber, dass aus einer Kapsel ein erfrischender Drink quillt, ist Eurem Markenversprechen sehr zuträglich. Also vergeben wir hier Eurem Projekt einen Pluspunkt. Wir glauben, dass Eure Fans Euch die Coca-Cola-Kapsel annehmen werden.
In unseren Markenstrategieprozessen müsstet Ihr die gnadenlose Frage beantworten: Welche Fans werden diese neue Form als attraktiv empfinden? Und welche der großen Lebensknappheiten werden damit bedient?
Wer in gesättigten Märkten sinnvoll wachsen will, muss sich mit derartig schwierigen Fragen auseinandersetzen. Der Ehrgeiz, etwas besser zu machen als die Wettbewerber, hilft meist nicht über diese Grundfragen hinweg. Es geht um den wahrgenommenen Mehrwert, der sich in einer steigenden Fankurve bei bestehenden und neuen Kunden zeigen muss. Was ist der klar erkennbare Nutzen? Was ist der emotionale Wert einer Innovation? Die Antwort auf diese Frage entscheidet über Hype oder Flop.
Ihr wollt die Lebensknappheit „Einfachheit“ bedienen. Denn es ist einfacher, Kapseln in verschiedenen Geschmacksrichtungen nach Hause zu tragen, zu lagern und griffbereit zu haben, als dies in Flaschenform möglich wäre. Ihr denkt auch daran, dass Menschen sich zunehmend selbst verwirklichen wollen, die letzte Hürde beim Produktaufbau selbst meistern wollen (IKEA-Prinzip), und vor allem mehrere Möglichkeiten haben wollen, sich das zum Moment passende Erfrischungsgetränk durch den Automaten zu jagen.
Individualität gehört in Zeiten zunehmender Vermassung und Gleichmacherei zu den Lebensknappheiten, ohne Zweifel. Wenn es gefällt, könnte man Coca-Cola mit Fanta mischen oder Sprite mit Coca Cola Light. Die Möglichkeiten wären nahezu unbegrenzt, eine neue Kreativitäts-Freiheit könnte entstehen. Das hat Attraktivitätspotential und könnte zum Treiber werden. Wir würden Euch raten: Sorgt dafür, dass Ihr die Lebensknappheit in Lust verwandelt, damit es zum großen Erfolg wird. Wir glauben an das Potential und vergeben deshalb einen weiteren Pluspunkt.
Liebe Coca Cola Company!
Euer Kapselprojekt kann eine gute strategische Entscheidung sein. Sich von der Vorstellung zu lösen, Erfrischungsgetränke müssten in alle Ewigkeit in Flaschen und Dosen verkauft werden, ist Eurer Markenbedeutung angemessen: Wer, wenn nicht Ihr, sollte dieses Prinzip in Frage stellen und daraus ein Geschäftsmodell entwickeln?
Alles Gute! Wir sind gespannt.
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Bereits das dritte Mal in Folge wurden wir 2023 vom Wirtschaftsmagazin FOCUS als Top Unternehmensberatung ausgezeichnet. Auch in diesem Jahr wurden die exzellente Leistung und die im Gedächtnis bleibende Kompetenz unserer Berater sowohl von Kunden als auch von Kollegen wertgeschätzt.
Wir freuen uns über diese Wertschätzung und danken unseren Kunden und Kollegen.
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