Die aufmerksamen Zuhörer auf dem Sportbusiness-Kongress SpoBis im Januar vernahmen die Warnschüsse, abgefeuert von den Top-Bundesliga-Funktionären Karl-Heinz Rummenigge und Hans-Joachim Watzke. Letzter sprach von „Eskalation", der Vorstandsvorsitzende Rummenigge sogar von „Revolte".
Auslöser für die unmissverständliche Wortwahl der beiden Fussball-Oberen ist insbesondere die Entscheidung der FIFA, ihre wichtigste und stärkste Produktmarke – die Fussball-WM – einer Frischzellenkur zu unterziehen. Nach der heiß diskutierten „Winter-WM" in Katar folgt nun der nächste Bruch mit Tradition und Gewohnheiten: die Aufstockung der Teilnehmer von 32 auf 48 Länder.
Schnell waren die FIFA-Kritiker zur Stelle, sie sprachen von der Gefahr durch Langeweile und Verwässerung. Doch wie ist das ganze aus Markensicht zu bewerten? Entwertet die FIFA wirklich ihre gewinntreibende Marke Fussball-WM? Oder wird sie auf lange Sicht sogar erfolgreicher, weil mehr Mannschaften schließlich auch Mehreinnahmen bedeuten?
Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit – das neue FIFA-Credo?
Wer die Diskussionen rund um die FIFA verfolgt, könnte zu der Meinung gelangen, diese handele frei nach dem Credo Friedrich Schillers: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit". Praktisch jede Woche ploppt ein neues Thema auf, das zumeist nicht einmal vom neuen FIFA-Boss Gianni Infantino iniitiert wird, sondern von seinen Direktoren, etwa dem ehemaligen Weltklassespieler Marco van Baasten.
In den aktuell stürmischen Zeiten und der wachsenden Beliebtheit anderer Sportarten, die um die immer geringer werdende Zeit und Aufmerksamkeit der Zuschauer buhlen, stellt sich die FIFA selbst auf den Prüftstand, um relevant und attraktiv zu bleiben. Ein durchaus nachvollziehbarer Schritt.
Die FIFA handelt im Sinne Ihrer eigenen Marke
Zudem scheint dieser auch zur Markendefinition der FIFA zu passen. Hier sticht vor allem der Claim ins Auge. „For the Game. For the World" verspricht der Fussballverband. Alle Funktionäre wurden während der heftig kritisierten Entscheidung, ob das Teilnehmerfeld aufgestockt werden soll, nicht müde zu betonen: Der Fussball ist für die Welt da ist und alle Länder sollten die Möglichkeit haben, davon zu partizipieren und von der Vorteilen, die der Sport mit sich bringt, profitieren. Ist die Anpassung der Produktmarke also aus Markensicht sinnvoll?
Die FIFA verspricht vieles – hält aber wenig
Nicht nur die zahlreichen Kritiker vermuten, das seien nur vorgeschobene Argumente, um letztlich den Profit zu erhöhen. Nach Berechnungen der FIFA bringt das neue Format bis zu 500 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen. Zudem muss man aus Markensicht feststellen: Die FIFA handelt zwar oberflächlich im Sinne ihrer Markenstrategie und Markenprinzipien – doch sie stellt Versprechen auf, die sie nur selten hält und richtet ihr Handeln und Anspruchsdenken nicht konsequent danach aus. Die Vergabe der WM nach Südafrika sollte der Nation helfen, zur Fussballnation zu werden – bei den Afrikameisterschaften blieb sie aber erfolgslos. In Brasilien verkommen die teuren Stadien vereinzelt zu Friedhöfen für ausrangierte Busbahnhöfe.
Das heißt im Klartext: Die FIFA nutzt ihre definierte Markenidentität samt Prinzipien, für die der Verband einsteht, derzeit nur als bloße Hülle, die nur dann bemüht wird, wenn quasidemokratische Entscheidungen erklärt werden müssen. Das derzeit prominenteste Beispiel der Markenwelt, das ähnlich fahrlässig mit seiner Marke umging, ist der Automobilhersteller VW. Jahrelang proklamierten die Manager Nachhaltigkeit als einen der drei Werte des Konzerns – hier war eher der Wunsch der Vater des Gedankens.
Bleibt die Frage: Erhöht die FIFA mit dem Aufstocken der Teilnehmerzahl die Attraktivität Ihrer „Star Brand"? Oder verkommt die WM damit zu einem Produkt, das kein TV-Sender mehr ausstrahlen will, so wie es kürzlich bei der Handball-WM der Fall war?
Die Frage wird erst 2026 und später beantwortet werden. Fest steht bislang: Die FIFA bricht drei entscheidende Grundgesetze der Markenführung und gefährdet dadurch die Begehrlichkeit ihrer Marke:
1. Das Spitzenleistungsniveau wird sinken
Kennen Sie eine Marke, die erfolgreich ist, aber nichts besser macht als die Konkurrenz? Wahrscheinlich nicht, denn erfolgreiche Marke erbringen immer Spitzenleistungen und erhöhen so die Begehrlichkeit. Schließlich fühlt sich jeder Mensch vom Besonderen, vom Außergewöhnlichen und vom Top-Niveau angezogen. Bisher war die Fussball-WM der weltweit wichtigste Fussball-Event, auf dem sich ausschließlich die besten Fussballnationen messen. Die Eintrittsbarrieren (WM-Qualifikationen) führten dazu, dass es keine Chance gab für Durchschnitt. Praktisch jede Fussballnation musste bereits leidvoll erfahren, was das hohe Niveau während der WM und den Qualifkationen bedeutet.
Die Änderung des WM-Modus wird unweigerlich dazu führen, dass das Niveau und damit die erbrachten Spitzenleistungen sinken werden. Darunter wird die Marke Fussball-WM künftig leiden.
2. Starke Markengrenzen weichen auf
Mit ihrer Entscheidung verwässert die FIFA ihre Produktmarke, weil sie die selbst definierte Grenze lockert. Bisher war die klare Grenze das hohe Spitzenleistungsniveau, das aber unter dem neuen Modus leiden wird. Der WM-Titel gilt als begehrlichster Mannschaftsitel der Sportwelt, weil er nur alle vier Jahre mit Top-Leistungen errungen werden kann.
Der neue Modus gefährdet diese bisherige Eigenschaft, weil die Gruppenphase für die großen Fussballnationen vermutlich eher zum Spaziergang wird. Nicht auszudenken, wenn die FIFA die Taktung der WM (alle vier Jahre) ebenfalls verändern würde. Die Europameisterschaft hat vorgemacht, was die Verwässerung der Marke und die Aufweichung der Grenzen bewirken kann: Langeweile und zuviel Taktierei bei den Spielen – dazu ein streitbarer Europameister, der ohne einen Sieg die Gruppenphase überstanden hat.
3. Einfache Markenregeln werden zerstört
Manch ein Marketingexperte nutzt gerne folgende Argumentationskette: Sobald ich Regeln breche, werde ich erfolgreich sein, denn Regelbrüche führen zu Diskussionen. Diskussionen wiederum führen zu Aufmerksamkeit, die wiederum Gratismarketing ist und die Bekanntheit erhöht. Das Problem ist nur: Was nützt es, wenn die Marke bekannt ist, sie aber nur wenige nutzen oder kaufen wollen – im Fall der Fussball-WM also aufmerksam verfolgen wollen?
Natürlich gibt es Beispiele in der Markenwelt, in der Unternehmen Regeln brachen und damit Erfolg hatten. Das entscheidende Merkmal ist aber stets, dass Vorteile für den Kunden entstehen. Zum Beispiel indem Schwächen im Markt kompensiert werden. Ob eine Winter-WM oder eine aufgeblasene WM Vorteile für die Fussballfans bietet, darf bezweifelt werden. Sobald Regelbrüche dieses Merkmal nicht erfüllen, schaden sie Marken vielmehr, weil sie Gewohnheiten der Kunden stören und damit ein Vertrauenverlust die Folge sein kann.
Die FIFA täte gut daran, ihre Prinzipien und Regeln, die Ihre Produktmarke zu einem der begehrtesten Sport-Events der Welt gemacht haben, zu achten und zu wahren.
Gut geführte Marken sind resilient – aber nicht unzerstörbar
An vielen Ecken lauern Sport-Events, die der WM nur zu gerne die Zuschauer – und vor allem deren Aufmerksamkeit, Emotionen und Leidenschaft – abwerben würden. So lässt sich neuerdings beobachten, dass Events wie die Dart-WM einen Hype auslösen und der Football-Boom aus den USA nach Europa schwappt. Zudem konkurriert die FIFA mit ihrer Produktmarke auch gegen die UEFA mit der Champions League.
Das einzig beruhigende für den Fussball-Fan und die FIFA ist, dass gut geführte und attraktive Marken resilient sind. Das heißt: Auch in stürmischen Zeit bieten sie Stabilität und sichern den Erfolg über einen gewissen Zeitraum. In der Markenführung spricht man von der Daumenregel, dass das Zerstören einer Marke genauso lange dauert wie ihr Aufbau – in diesem Sinne hätte die Fussball-WM noch einige prosperiende Jahre vor sich.
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Colin Fernando
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Das heißt im Klartext: Die FIFA nutzt ihre Markenidentität als bloße Hülle, die nur dann bemüht wird, wenn quasidemokratische Entscheidungen erklärt werden müssen.
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