Führen Sie einmal folgenden Selbstversuch durch: Lassen Sie sich das Datenblatt von drei ähnlichen Produkten Ihrer Branche geben. Bitten Sie einen Mitarbeiter, die Datenblätter zu neutralisieren, das heißt: Schriften angleichen und Logos entfernen. Danach versuchen Sie herauszufinden, für welches Produkt Sie sich entscheiden würden.
In Vorträgen führe ich diese Übung gerne anhand von Datenblättern von Automobilen durch. Autos gehören in Deutschland noch immer zu den emotionalsten Produkten. Ich bitte meine Zuhörer, sich zu überlegen, für welche der drei zur Auswahl stehenden Produkte sie sich entscheiden würden.
Wenn die Zuhörer nur die Daten als Grundlage für ihre Entscheidung zur Verfügung haben, sind sie meist extrem zögerlich. Die Anzahl der Handmeldungen teilt sich dann meist gleichmäßig auf alle drei Produkte auf. Wenn ich dann die Logos von Mercedes, Audi und BMW zu den Daten der drei Fahrzeuge hinzufüge, entscheiden sich die Zuhörer meist völlig neu. Fakten spielen plötzlich keine Rolle mehr.
Fakten allein genügen nicht, um zu überzeugen
Fakten sind unbestritten eine wichtige Grundlage für unsere Kaufentscheidung. Ihre Vertriebskollegen werden sich bestimmt nicht darauf einlassen, Kunden ohne Daten und Fakten zu überzeugen. Aber Fakten sind nur die Basis für eine Entscheidung. Die Überzeugung, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, fällt nicht auf der faktischen Ebene.
Haben Sie auch schon erlebt, dass die Daten zwar gepasst haben, das Produkterlebnis dann aber doch nicht überzeugend war? Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn die Daten überzeugen, muss auch das Produkt- oder Serviceerlebnis überzeugend sein.
BOSE ist ein Weltmeister darin, seine Spitzenleistungen nicht nur in Datenblättern zu demonstrieren, sondern auch in Produkten hörbar werden zu lassen. Es geht BOSE nicht um messbare, sondern um hörbare Klangqualität. Warum eine Marke sich so verhält, wie sie es tut, ist in ihrer Geschichte verankert:
„In den fünfziger Jahren, zu einem Zeitpunkt als Dr. Bose am MIT gerade promovierte, entschloss er sich, ein paar neue Lautsprecherboxen zu erwerben. Die Enttäuschung war jedoch groß, als er feststellen musste, dass Lautsprecher mit äußerst beeindruckenden technischen Daten bei einer naturgetreuen Klangwiedergabe, wie wir sie von einer Live-Darbietung gewohnt sind, absolut versagten. Diese Erfahrung führte zu intensiver Forschungsarbeit auf den Gebieten der Lautsprecherkonstruktion und der Psychoakustik – der Lehre von der Wahrnehmung des Klangs. Boses Entdeckungen führten zu völlig neuen Gestaltungskonzepten, die dazu beitragen, die Emotionen von Live-Musik zu übermitteln.“
Genau dies ist auch die Ursache dafür, dass BOSE es beherrscht, Ingenieurskunst für jeden verständlich zu übersetzen. Man versucht erst gar nicht, die Technologie zu erklären, sondern begibt sich sofort auf die Nutzenebene der Spitzentechnologie.
Professionelle Einkäufer technologischer Produkte verbringen ihr gesamtes Berufsleben damit, Fakten abzuwägen. Was glauben Sie, wie empfänglich sie für einzigartige Markenerlebnisse sind.
Festo ist ebenfalls ein Meister der Inszenierung. Diese Marke schafft es seit Jahrzehnten, die Besonderheiten der Marke und das Filigrane der Marke in Szene zu setzen. Festo unterstützt das Bionic Learning Network. Das Unternehmen investiert unter anderem auch in technische Projekte, die der Grundlagenforschung dienen.
Daraus entstand zum Beispiel der SmartBird, der den Vogelflug nachbildet, oder die fliegende Qualle „Air Jelly“. Sie besteht aus einem mit Helium gefüllten ballonartigen Luftsack, und ist das erste Indoor-Flugobjekt mit peristaltischem Antrieb. Air Jelly erhielt 2010 den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland. Somit passt das Ganze natürlich nicht nur kommunikativ zur Marke, sondern basiert auf dem Kern dieser Marke.
In der Entscheidungsphase bestimmt der Autopilot
Was die Marke aber eigentlich damit erreicht, ist, von der rationalen expliziten Wahrnehmungsebene auf die implizite emotionale Ebene der Kunden zu wechseln. Auch professionelle Kaufentscheider im technologischen B2B-Umfeld werden so dazu gezwungen, nicht mehr zu urteilen (explizite Ebene), sondern zu handeln. Das ist insbesondere für den Verkaufserfolg dieser Marken von enormer Bedeutung. Denn ca. 95 % aller Kaufentscheidungen werden vom Autopiloten getroffen.
Die Geschäftsanbahnung findet noch auf der expliziten, rationalen Urteilsebene statt. Während der Entscheidungsebene wechseln die Entscheider auf den Autopiloten. Seine Aufnahmefähigkeit ist immens. Deshalb funktioniert der Autopilot unserer Kunden auch umso wirksamer, je mehr Sinnesorgane von einer Markeninszenierung angesprochen werden.
Multisensorisches Markenkontaktpunktmanagement
Überlegen Sie sich, wie Ihre Marke klingt, riecht, schmeckt und wie sie sich anfühlt. Wie fühlt sich die Oberfläche des Produkts an? Hart oder weich? Kalt oder warm? Wie müsste es klingen? Satt oder blechern? Multisensitives Markenkontaktpunktmanagement nennt man das.
Wenn Sie dieses Thema ernst nehmen, werden Sie einen weiteren Schritt vor Ihrem Wettbewerber sein und Ihre Kunden – im Modus des Autopiloten – zur Entscheidung für Ihr Produkt verführen. Ganz ohne Magie, mit einfachem Handwerk. Nur auf eine etwas ungewöhnliche Art und Weise. Aber das sollte Sie nicht davon abhalten, das Gegenteil von dem zu tun, was der Markt oder der Wettbewerb normalerweise tut.
Besonders beeindruckt hat mich eine Marke aus der Medizintechnik. Man könnte meinen, Hilfsprodukte für Behinderte seien besonders schwer zu inszenieren, weil ethische Aspekte dagegen sprechen könnten. Nicht so bei Ottobock. Die Marke hat für die Inszenierung ein Science Center in Berlin kreiert. Auf drei Etagen veranschaulichen interaktive Exponate das Zusammenspiel von Natur und Technik. Dahinter steht die Idee, die Geheimnisse der Medizintechnik als Erlebnis transparent darzustellen.
Seit der Eröffnung 2009 haben sich laut Firmen-Website bereits mehr als 400.000 Besucher aus aller Welt auf Entdeckungsreise durch die multimediale Ausstellung zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz begeben. Mit dem Science Center ist es Ottobock in einzigartiger Weise gelungen, Mobilität für jeden verständlich zu machen und entscheidend zur innovativen Wissensvermittlung auf breiter Ebene beizutragen.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Fachbuch „Value Branding – vom hochwertigen Produkt zur wertvollen Marke“ (Haufe Verlag). Der Autor Jürgen Gietl, Managing Partner Brand Trust, beschreibt darin, wie B2B-Marken und insbesondere ingenieurgetriebene Technologiemarken erfolgreich aufgebaut und geführt werden können. Die praxisnahen Ratschläge eignen sich zum Beispiel für Marken der IT, Biotechnologie, Chemie, Automotive, Maschinenbau, Textil, Automobilzulieferung, Logistik und Medizintechnik.
Sie können das Markenfachbuch hier bestellen: „Value Branding – vom hochwertigen Produkt zur wertvollen Marke"
Weitere Insights und Handlungsempfehlungen erhalten Sie beim BrandBootcamp mit dem B2B-Markenexperten und Buchautor Jürgen Gietl.
Bereits das dritte Mal in Folge wurden wir 2023 vom Wirtschaftsmagazin FOCUS als Top Unternehmensberatung ausgezeichnet. Auch in diesem Jahr wurden die exzellente Leistung und die im Gedächtnis bleibende Kompetenz unserer Berater sowohl von Kunden als auch von Kollegen wertgeschätzt.
Wir freuen uns über diese Wertschätzung und danken unseren Kunden und Kollegen.
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