Abstract
Markendehnungen können gefährlich sein und Marken erheblichen Schaden zufügen. Birkenstock muss sich der eigenen Markengrenze bewusster werden und Leistungen, die nicht glaubwürdig dazu passen, unter anderen Marken führen. Birkenstock benötigt ein wirksames Markenarchitektursystem, um durch Wachstum echten Wert zu schöpfen.
Wofür steht die Marke Birkenstock? Stellen Sie diese Frage irgendjemandem und zu 99% wird die Antwort wohl lauten: „Sandalen". Diese Tatsache ist ein Grund zu feiern. Die Marke besitzt eine Monopolstellung in den Köpfen der Menschen – mehr kann eine Marke nicht erreichen! Birkenstock hat sich von der „Öko-Gesundheitslatsche" zum Lifestyle-Schuh gemausert – durch wiederholt erbrachte Spitzenleistungen, Aufwind durch markenrelevante Nährböden und konsequente Markenführung. Birkenstock ist weltweit eine „Star Brand".
Besitzt Birkenstock die Kompetenz für diese Felder?
Doch die Marke läuft Gefahr, einem weitverbreiteten Trugschluss zu unterliegen: dass Marken durch Ausdehnung wachsen. Korrekt ist aber: Marken wachsen durch Verdichtung. Es geht darum, ihre Grenzen zu kennen und diese nicht zu überschreiten. Natürlich ist Birkenstock, wie jeder andere Marktteilnehmer, auf der Suche nach Wachstumsfeldern. Birkenstock-Chef Oliver Reichert ist überzeugt, diese mit den Bereichen „gesundes Schlafen und Wohnen", „gesunde Arbeitswelt" und „gesunde Lebenseinstellung" identifiziert zu haben.
Es stellt sich eine zentrale Frage: Besitzt Birkenstock die Kompetenz für diese Felder? Zum Teil ja, denn Reicherts Argumentation „Vom Fußbett zum Bett ist der Weg nicht weit" könnte richtig sein. Außerdem ist die in 243 Jahren gesammelte Kompetenz in Ergonomie und mit dem Material Kork, Hauptbestandteil der Naturkosmetik, auch nicht von der Hand zu weisen.
Diese Argumentation lässt nur zwei relevantere Dimensionen außer Acht: Glaubwürdigkeit und Bedeutung.
Kompetenz reicht nicht – Glaubwürdigkeit ist das Maß der Dinge
Neben Kompetenz („Können wir das?") spielt Glaubwürdigkeit („Glaubt man uns das?") die größere Rolle. Das ist ein kleines, aber wichtiges Detail, an dem schon andere Marken gescheitert sind, beispielsweise Nivea.
Kann NIVEA auch Kosmetik herstellen? Aus Produktsicht betrachtet lautet die Antwort: Natürlich können sie es – bei Beiersdorf arbeiten genug kompetente Menschen. Dennoch konnte sich die Line Extension „NIVEA Beauté" nie durchsetzen. Nach mehreren Jahren am Markt haben die Verantwortlichen das einzig Richtige getan: Sie nahmen die Kosmetiklinie vom Markt, um sich auf den Kern der Marke zurückzubesinnen: Nivea steht glaubwürdig für Pflege, sonst nichts – und das ist auch gut so! Dekorative Kosmetik hingegen hat nicht den Zweck, zu pflegen. Es war zum Scheitern verurteilt, die Kosmetiklinie so nah an der Kernmarke Nivea zu positionieren und sie so deutlich zu stützen.
Ausdehnung verhindert Anziehungskraft
Weitere Beispiele gibt es zuhauf. Seien Sie ehrlich: Würden Sie Fertiggerichte der Zahnpastamarke Colgate essen? Fänden Sie Parfum der Feuerzeug-Kultmarke Zippos attraktiv? Wahrscheinlich nicht. Das Bauchgefühl sagt, dass diese Dinge nicht zusammenpassen, dass sie unglaubwürdig sind. In diesen Fällen führt die Marke vielmehr zu Ablehnung statt Anziehung.
In jedem Markenartikelkonzern findet sich eine Vielzahl an Marken im Portfolio. Nicht alle sind notwendig, denn zu viele Marken können die Kundenorientierung verringern. Aber es gibt triftige Gründe, bestimmte Sortimente durch unterschiedliche Marken voneinander zu trennen.
Markenarchitekturen regeln das Beziehungsgeflecht von Marken
Die Lösung liegt – neben einer klaren Markengrenze, formuliert in einer Nr.1-Position – in strategisch aufgebauten Markenarchitekturen. Gut gemanagt – und nicht als reines Portfolio-Sortierungs-Tool verstanden – ermöglichen sie Wachstum, erhöhen die Wertschöpfung und minimieren Risiken.
Besonders die Glaubwürdigkeit determiniert, welchen Abstand eine Produktentwicklung von der Kernmarke braucht. Passt sie hundertprozentig zur Kern- oder Dachmarke, könnte sie darunter geführt werden. Passt sie nicht, wäre eine separate Einzelmarke sinnvoller. Die Distanz zur Dachmarke sollte umso größer sein, je höher der Beitrag der Einzelmarke zum Geschäftserfolg eingeschätzt wird (Bedeutung). Aus Vertriebssicht ist diese Frage relevant: Mit welcher Markenarchitektur sind die meisten „Stücke vom Kuchen" bzw. Regalmeter möglich?
Zwischen den Extremen Dachmarke und Einzelmarke liegen diverse Stützoptionen. Das „BrandTrust Portfolio System" kombiniert die beiden Dimensionen Glaubwürdigkeit und Bedeutung in einer 9-Felder-Matrix und zeigt mithilfe objektiver Entscheidungskriterien die strategisch sinnvollste Option, um die betreffende Marke zu führen.
Analysieren wir diese beiden Dimensionen im Fall Birkenstock:
1. Wie bedeutend sind die neuen Geschäftsfelder für Birkenstock?
Im Vergleich zum Kerngeschäft mit dem Schuhwerk dürfte der Beitrag zum Geschäftserfolg der Betten, Möbel und Kosmetik grundsätzlich eher gering ausfallen. In diesen für Birkenstock neuen Märkten dominieren bereits größere, etablierte Player – es finden sich dort inzwischen aber auch viele Start-ups.
Gegen Start-ups mag die Kraft der Marke, der Name Birkenstock, vielleicht helfen. Im direkten Kompetenzvergleich mit etablierteren Herstellern hilft das eher bedingt. Das scheinen die Verantwortlichen bei Birkenstock eingesehen zu haben, denn die Bettensysteme wurden mit dem Lizenzpartner und Familienunternehmen Ada, dem größten Möbelhersteller Österreichs, sowie Spezialisten des Ergonomie Instituts München über zweieinhalb Jahre lang entwickelt. Hier trägt wohl eher der Name Ada zur Kompetenzwahrnehmung bei.
Andere wichtige Fragen unter dem Aspekt der Bedeutung betreffen zum Beispiel den Kannibalisierungsgrad und die Wahl des Vertriebswegs. Auch dies wird die Distanz zur Dachmarke Birkenstock beeinflussen.
2. Wie glaubwürdig sind die Neuprodukte unter der Dachmarke Birkenstock?
Was haben Betten, Büromöbel und Naturkosmetik mit Sandalen zu tun? Auf die Frage nach dem gemeinsamen Nenner scheint die Antwort vorerst unklar:
Manch einer mag sagen, das Thema „Gesundheit" sei schon immer der rote Faden gewesen; doch das ist vermutlich zu unspezifisch. Birkenstock platziert immer wieder den Begriff „Wohlbefinden" – das könnte funktionieren, sofern alle Produkte diese Prämisse erfüllen.
Ergebnis der Analyse:
1. Ergonomische Bettensysteme und Büromöbel leiten sich einfacher aus der Kernkompetenz Birkenstocks ab als pflegende Kosmetik. Man könnte die Möbel verhältnismäßig nah an der Dachmarke Birkenstock führen, allerdings würden wir empfehlen: nicht unter derselben Marke.
Eine neue Marke scheint strategisch sinnvoller. Diese könnte durch Birkenstock gestützt werden, etwa in der Kommunikation („made by Birkenstock") oder dezent visuell (indem wesentliche Stilelemente von Birkenstock auf Logo-Ebene übertragen werden). Birkenstock als Absender zu platzieren, um den Bezug zur Leistungsebene herzustellen, wäre auch durch eine Identitätsvariation à la „Birkenstock HOME/BEDS/OFFICE" möglich, wie es bislang bei der Kosmetik der Fall ist.
2. Die neue Marke „Birkenstock Natural Care" für die Kosmetik als eine Identitätsvariation anzulegen, ist hingegen nicht die sinnvollste Option. Die Kosmetikmarke bräuchte eine deutlichere Distanz zur Dachmarke, weil hier besonders die Glaubwürdigkeit fraglich ist – der Sprung von Sandalen zu pflegender Kosmetik wirkt zu groß. Besser wäre zum Beispiel eine verdeckte, aber bekannte Stützung, die über das Verbindungsglied „Kork" hergestellt werden kann.
Der Entwicklung der Kosmetiksparte widmete das Unternehmen immerhin ein neues Tochterunternehmen, die Birkenstock Cosmetics GmbH & Co. KG; auf Geschäftsebene wird die Distanz zum Kerngeschäft also bereits vollzogen, diese bräuchte es nun auch auf Markenebene.
3. Es wäre dringend notwendig, alle Marken differenzierender zu positionieren. Welche glaubwürdigen Spitzenleistungen kann Birkenstock für die Marken in jedem Geschäftsfeld vorweisen? Was sind die Attraktivitätstreiber und Kaufmotive? Was können nur diese Marken und sonst keiner der Wettbewerber?
Nur ein Beispiel: Der Inhaltsstoff „Kork" wird als USP für „echte Naturkosmetik ohne Chemie" nicht reichen. Dies können Anbieter wie Dr. Hauschka, Lavera oder relativ neue Player wie Jean&Len auch – und haben schon ordentlich Markenvertrauen gesammelt, wogegen sich Birkenstock erstmal beweisen muss.
Markendehnung von Birkenstock: Top oder Flop?
Überschreitet Birkenstock nun mit diesen Markendehnungen seine Glaubwürdigkeitsgrenze? Sollte das Unternehmen die Produkte unter der (Dach-)Marke Birkenstock führen wollen, lautet die Antwort „Ja". Die Produktentwicklungen an sich jedoch sind glaubwürdig und passen zum Markenversprechen „Wohlbefinden", auch wenn die Herleitung etwas holprig ist – hier wünscht man sich fast etwas mehr Storytelling.
Die aktuelle Mehrmarkenstrategie erscheint noch nicht zu hundert Prozent durchdacht. Alle Marken, auch die Dachmarke, brauchen eine spezifische Nr.1-Position, um zu überleben. Vor allem müssten sie getrennt voneinander geführt werden!
Birkenstock sollte sich schnell Gedanken zur passenden Markenarchitektur machen, denn die Risiken sind offensichtlich: Im schlimmsten Fall verwässert die Marke Birkenstock, nimmt Schaden und verliert ihren Kultstatus.
Empfohlene Links:
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Nur mit einem Markenarchitektursystem, in dem Produktmarken unter Glaubwürdigkeitsaspekten getrennt geführt werden und jede Leistung klar positioniert ist, kann Birkenstock mit den neuen Wachstumsfeldern echten Wert schöpfen und die Kernmarke schützen.
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