Das Erdbebenrisiko in der Schweiz ist gering. Wenn es bebt, ist das selbstverschuldet. So wie an dem denkwürdigen Sonntag, 19. März 2023: Die Grossbank Credit Suisse geht unter! Die grössere und noch junge Grossbank UBS übernimmt die 167-jährige, etwas kleinere Credit Suisse. Von ehemals fünf Grossbanken bleibt gerade mal eine übrig. Das Land ist geschockt.
Die als Land der Banken geltende Schweiz steigt aus der Champions League ab. Zurückbleiben, neben UBS, international stark positionierte Privatbanken sowie ein Netz aus soliden Inlandbanken im Retail- und Affluent-Geschäft.
Die Behörden sichern dem neuen Riesen jegliche Unterstützung zu. Die übernehmende UBS wird nicht verstaatlicht, geht aber bis auf weiteres am Stock des Staates. Garantien für Credit Suisse und UBS von insgesamt 259 Milliarden Schweizer Franken werden ausgesprochen, 16 Milliarden Franken Anleihen werden vernichtet. Massnahmen ohne irgendwelche Gegenleistungen werden verfügt. Der Sonntag des Grauens lässt alle ratlos zurück.
Auch das Ausland verfolgte erstaunt das Beben in der Schweiz. Politik und Medien schrieben sich die Finger wund, redeten sich den Mund fusselig. Wie konnte das geschehen?
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In der Zwischenzeit liegen zahllose Erklärungen für das Scheitern auf dem Tisch. In der Politik wimmelt es von Vorstössen, um Konsequenzen aus dem Debakel zu ziehen. Es geht um die künftige Ausgestaltung und Überwachung der neuen UBS – und es geht um Möglichkeiten, wie solche Abstürze in Zukunft verhindert werden könnten.
Wie konnte der Untergang der Credit Suisse geschehen? Eigentlich ist der Grund dafür ganz einfach. Die Unternehmensführung hat in den letzten fünfzehn Jahren komplett versagt. Mit einem Wert von 100 Milliarden Schweizer Franken vor der Finanzkrise 2008/2009 und dem schadlosen Überstehen dieser Krise stand die Credit Suisse gut da.
Mit dem Selbstverständnis «Wir sind stark» begann der Abstieg. Die Führung verliess den Pfad der Tugend, überschätzte ihre eigenen Fähigkeiten, tauchte in Geschäfte ein, für die sie nur ungenügende Kompetenzen besass und verlor den Bezug zu ihren Wurzeln.
Die Unternehmenskultur der Credit Suisse, über Jahrzehnte gewachsen und gefestigt, wurde bald nur noch auf Papier festgehalten, in der Realität wurde sie nicht mehr gelebt.
Die ehemals für Klarheit und Verbindlichkeit stehende Finanzmarke verblasste, das Markenversprechen wurde nicht mehr eingelöst.
Vertrauen ist die einzige Währung, die im Banking zählt. Der Mensch vertraut Menschen. Dieses Vertrauen haben die Menschen in den Führungsriegen der Credit Suisse durch haarsträubende Skandale und arrogante Reaktionen darauf in den letzten Jahren verloren.
Frühere Verantwortliche verliessen das Schiff, weil Aktionäre, Kunden und Mitarbeitende ihnen nicht mehr vertrauten. Und auch den Personen, welche die jüngste Strategie und die Veränderung der Bank aufgegleist haben, hat man nicht vertraut. Da nützen solide Eigenkapitalquoten, mehr als genügend Liquidität nichts mehr.
Ein Windstoss, ausgelöst durch taumelnde amerikanische Regionalbanken, verstärkt durch die digitalen Netze haben genügt, um die grosse, vom Vertrauen verlassene Grossbank in die Knie zu zwingen.
Führungskräfte, und das gilt nicht nur für die oberste Unternehmensführung, benötigen bestimmte Charaktereigenschaften, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Dazu gehören Offenheit, Glaubwürdigkeit, Demut und Bescheidenheit. Diese Eigenschaften sind der Credit Suisse in den letzten Jahren in weiten Teilen verlorengegangen.
Wenn sich im Milieu der Grossbanken wirklich etwas verändern soll, braucht es ein anderes Führungsverhalten. Sachverstand, Leidenschaft für die Aufgabe, Einfachheit und Bescheidenheit sollten die Leitlinien einer neuen Führungskultur sein.
Interessant, dass solche Eigenschaften in vielen Gremien von Schweizer Unternehmen und auch bei Banken vorhanden sind. Es gibt sie also, die Menschen, die vertrauensbildend arbeiten und führen. Damit beginnt der Wandel bei der Auswahl der Kader.
Selbstverständlich sollen die Vorgaben dafür sorgen, dass Banken solide aufgestellt werden. Dazu gehören belastbare Geschäftsmodelle, Organisationen mit klaren Verantwortungen, risikoaverse, angemessene Lohnsysteme, genügend Eigenmittel, ausreichende Liquidität, ein griffiges Risikomanagement, eine durchsetzungsstarke Compliance.
Doch führen müssen Menschen, denen man Vertrauen schenken möchte. Eine klar definierte Marke dient dabei allen Menschen als zentraler Kompass, intern und extern.
Der Untergang der Credit Suisse ist schlecht. Die Schweiz leidet deshalb an einer gewissen Identitätskrise. Doch diese kann und dürfte überwunden werden. Werfen wir deshalb den Blick auf die Rolle des Staates.
Der Wettbewerb in für die Wirtschaft lebenswichtigen Teilen des Bankings wird durch den Wegfall der Credit Suisse stark eingeschränkt. So haben mittlere und grössere, auch international tätige Unternehmen mit der UBS nur noch einen schweizerischen Ansprechpartner. Die anderen Retailbanken haben, mit wenigen Ausnahmen, die Kompetenzen für solch komplexe Finanzgeschäfte nicht.
Neben der UBS sind im Kredit- und Einlagegeschäft nur noch die genossenschaftlichen Raiffeisenbanken und die Migrosbank sowie, mit amputierten Möglichkeiten, die PostFinance national positioniert. Kantonalbanken und Regionalbanken sind nur regional ausgerichtet.
Da die neue UBS für ein kleines Land wie die Schweiz eigentlich zu gross ist, wird der Einfluss des Staates dominant werden. Kritische Stimmen sprechen bereits von einer neu geschaffenen Staatsbank. Mindestens verfügt die UBS jetzt sogar über explizite Staatsgarantien.
Zusammen mit den mehrheitlich den Kantonen gehörenden Kantonalbanken und der zum Staatsunternehmen Post gehörenden PostFinance steht die grosse Mehrheit der schweizerischen Kredit- und Einlagebanken im direkten Einfluss des Staates. Verstaatlichte Schweizer Banken – ein in der Vergangenheit nicht denkbares Szenario. Und das in einem Land, das stolz ist auf sein liberales Gedankengut und auf die direkte Demokratie.
Weil das Bankensystem für Wirtschaft und Gesellschaft zentral ist, muss der Staat Regelungen treffen, die in anderen weniger relevanten Branchen nicht notwendig sind. Das können Begrenzungen der Geschäftsmodelle, Auflagen bezüglich Swissness in der Eigentümerschaft oder Regelungen zur Abwicklung von Instituten sein.
Dass der Staat jedoch gleich Eigentümer sein muss oder die Fesseln der unternehmerischen Tätigkeit zu eng schnürt, muss in einer auf Freiheit setzenden Wirtschaft und Gesellschaft nicht sein.
Deshalb werden eine Abspaltung und eine Verselbständigung der Credit Suisse Schweiz diskutiert. Diese Massnahme würde den Wettbewerb in der Schweiz beleben, tausende von Arbeitsplätzen sichern, Kultur und Sport in der Schweiz unterstützen und die Ausbildung von Bankfachleuten und Bankkadern fördern.
Eine Gegenmassnahme zur Verstaatlichung wäre auch die Privatisierung oder Teilprivatisierung der Kantonalbanken und der Posttochter PostFinance. Dagegen sprechen die engen Verbindungen zwischen Politik und Banken in den Kantonen, die beachtlichen Dividendenzuflüsse in die Staatskassen sowie die im nationalen Parlament versenkten Ideen zur Entfesselung der PostFinance.
Ob das gegenwärtige Beben in der Bankenlandschaft Schweiz so stark ist, dass grössere Veränderungen denkbar werden? Oder ob das Beben dazu führt, dass aus Angst vor künftigen Erschütterungen der weitergehende Rückzug in die staatliche Obhut erfolgen wird? Die Zukunft wird diese Fragen beantworten.
Dieser Kommentar erschien zuerst in der Neue Zürcher Zeitung (NZZ): Das grosse Beben in der Bankenlandschaft – ist die Schweiz reif für Veränderungen?
Jürg Bucher
Senior Advisor
Wenn sich im Milieu der Grossbanken wirklich etwas verändern soll, braucht es ein anderes Führungsverhalten. Sachverstand, Leidenschaft für die Aufgabe, Einfachheit und Bescheidenheit sollten die Leitlinien einer neuen Führungskultur sein.
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