Man wird sich einmal erinnern an jene Zeit, als sich Destinationsmanager mit viel Energie dem Gestalten eines Logos widmeten: Mit seinen Farben und Formen sollte es die Destination charakterisieren und unverwechselbar machen. Was für einen Staat die Flagge war für touristische Orte oder Regionen das Logo.
Hinter einem Logo, so glaubte man, konnte sich eine Anbietergemeinschaft versammeln, seine Identität finden und der Konkurrenz die Kunden abjagen. Passend zu diesem Stammeszeichen rief man weitere Mittel ins Leben, um die Aufmerksamkeit des potenziellen Gästepublikums zu erlangen, etwa TV-Spots, Prospekte, Gadgets, Werbefilme, Broschüren und Inserate sowie ihre Adaptionen für das World Wide Web. Zu dieser Zeit ahnte niemand, was auf Marken und Marketing zukommen würde, sobald die Menschen ihr Smartphone nutzen, um Botschaften zu empfangen und direkt darauf zu reagieren.
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Der neue Such-Maßstab: „Voiceability"
Seit sich die digitalen Assistenten vom Schlage „Alexa" in vielen Haushalten als zusätzliche Bewohner eingenistet haben, zuhören und auf die normalsten – und in Zukunft auch auf die außergewöhnlichsten – Fragen keine Antwort schuldig bleiben, ist gewiss: Marken werden in Zukunft „Voiceability" brauchen.
Die aufwändig gestalteten Logos helfen hierbei genausowenig weiter wie die damit verzierten Broschüren. Eine Destination muss heute dafür sorgen, dass sie im Web dank gut gewählter Inhalte auffindbar ist – sonst hat sie in der kommenden Zeit sprachgesteuerter Suchmaschinen keine Chance.
Renommierte Studien gehen davon aus: Bis 2020 wird bereits zu 30% ohne Bildschirm gesurft, 50% der Suchen werden mit Sprachassistenten durchgeführt und die Kunden erwarten sich immer relevantere Antworten.
Die Zukunft besteht aus ganzen Sätzen
Aktuell ist Googles Suchergebnisliste ein wichtiges Thema in Unternehmen – noch. Denn das Suchverhalten ändert sich: Menschen beauftragen Siri und Cortana nicht anhand einzelner Wörter mit einer Suche (so wie sie es bei Google tun), sondern sprechen ganze Sätze, die zu detaillierteren Ergebnissen führen. Die Zukunftsmusik spielt also über die gefundenen Inhalte und deren Qualität.
Sprechen und Hören schicken sich an, das Tippen und Lesen zu übertrumpfen: Unter den ersten zehn Suchergebnissen angezeigt zu werden – ein für lange Zeit angepeiltes Ziel vieler Marken – hilft nicht mehr: Weil ein Sprachassistent nur das Hauptergebnis vorliest oder noch zwei weitere vorschlägt. Aber damit hat es sich auch schon.
Der Unterschied wird sein, ob die Marke nachfragt wird oder die Branche, der sie angehört: Die klare Nr.1-Position anzustreben, wird das Gebot der Stunde sein – und zwar sowohl als Fragebegriff als auch als Ergebnis. Jede Marke hat gewonnen, wenn sie mit Namen vokal nachgefragt wird. „Was kostet eine Miele-Waschmaschine?" ist der Gewinnersatz. „Was kostet eine Waschmaschine?" ist der Verlierersatz.
Das neue Reisemotiv heißt „Instagrammability"
Als britische Millennials gefragt wurden, anhand welcher Kriterien sie sich für ein Urlaubsziel entscheiden, war diese Antwort mit über 40% Nennungen die häufigste: „Wie gut man den Urlaubsort auf Instagram abbilden kann." Der neue Begriff „Instagrammability" war geboren. Er wurde weit vor „Sehenswürdigkeiten" genannt (Platz 5), „Lokale Küche" (Platz 4) „Selbstverwirklichungsmöglichkeiten (Platz 3) und „Verfügbarkeit und Preis alkoholischer Getränke" (Platz 2).
Spätestens seit dieser Erkenntnis dämmert es touristischen Marketingexperten: Mit ihrem gewohnten Werbeprozedere wird es wohl schneller vorbei sein als gedacht. Ihre Websites, auch wenn sie prall gefüllt sind mit Werbefilmen und großartigen Landschaftsfotos, könnten an den Bedürfnissen der heranwachsenden Generation X und Y vorbeigehen.
Mit dieser neuen Motivlage wird auch den eintönigen Standardzimmern großer Hotelketten der Kampf angesagt sowie den gleichförmigen Führungen durch Städte und Sehenswürdigkeiten. „Reiseziele beispielsweise können sich nicht länger damit begnügen, einförmige Urlaubsziele des Massentourismus zu sein. Es ist vielmehr die Einzigartigkeit des Ortes, die besondere Stadt mit authentischer Atmosphäre, die exzeptionelle Landschaft, die besondere lokale Alltagskultur, denen nun das Interesse des touristischen Blicks gilt", schreibt der deutsche Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz in seinem Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten".
Weg von Durchschnitt hin zum Besonderen
„Das Besondere ist Trumpf, das Einzigartige wird prämiert, eher reizlos ist das Allgemeine und Standardisierte", begründet Reckwitz den beobachtbaren Wandel der Gesellschaft. Der Durchschnittsmensch mit seinem Durchschnittsleben steht unter Konformitätsverdacht. Das neue Maß der Dinge sind die authentischen Subjekte mit originellen Interessen und besonderer Biografie, die unverwechselbaren Güter und Events, Communities und Städte. Spätmoderne Gesellschaften feiern das Singuläre und wenden sich vom Kollektiven ab, doziert der für den Literaturpreis der Buchmesse Leipzig nominierte Autor.
Was bedeutet dies für Destinationen? Wo liegen die Herausforderungen? Welches sind die Fallen und Risiken? Und: Welche Rolle spielen das Destination Branding während dieser Veränderungen?
Reisemotiv und Nutzen gehören zusammen
Wenn wir die Sprache zum Suchen („voice search") verwenden und nicht das Schreiben (googeln), dann kombinieren wir schnell Motive mit Fakten. „Hi Alexa, wo kann ich mit meiner Familie (Motiv) eine Woche Strandurlaub verbringen (Motiv) in einem Hotel (Fakt) mit direktem Zugang zum Meer (Fakt)? Maximaler Preis für vier Personen 1.500 Euro (Fakt)?"
Eine derart komplexe Fragestellung hätte im Suchschlitz von Google aus einer losen Wortfolge bestanden: „Strandurlaub Familie Hotel Meerzugang direkt". Je komplexer die Fragestellungen werden, umso einfacher wird es, diese über digitale Sprachassistenten abzuwickeln.
Damit diese wiederum brauchbare Ergebnisse anbieten können, ist entscheidend, in welcher Qualität und Kombinierbarkeit Daten und Informationen vorliegen. Vor allem müssen in den Datensätzen nicht nur harte Fakten enthalten sein, sondern auch Informationen, die den Motiven zugeordnet werden können.
Sprachassistenten brauchen kombinierbare Daten
Mit ihrer Kombinationsgeschwindigkeit werden digitale Sprachassistenten sogar persönliche Empfehlungen übertrumpfen, hier gewinnt die Maschine über den Menschen. Was sie jedoch weniger gut kann: Einschätzungen vornehmen. Die Frage „Hi Google, ist es ist für unsere Familie am nächsten Wochenende besser, drei Tage an den Strand zu fahren als drei Tage in einer Stadt zu verbringen?" wird auch für selbstlernende Systeme wie Cortana, Siri und Alexa sehr schwierig zu beantworten sein.
Unternehmen, die ihre Informationen auf möglichst vielen Datenbanken in der nötigen Tiefe hinterlegt haben, können zu den Gewinnern gehören. Denn wenn es um das Verknüpfen von Informationen geht oder um die Abfrage von Kombinationsmöglichkeiten, brauchen digitale Sprachassistenten ausreichend Futter. Dort, wo sie es in einer genügend großen Menge bekommen, greifen sie zu – und spucken es als Ergebnis aus. Das ist die eine Dimension.
Die andere Dimension ist: Wenn sich eine Marke eine Nr.1-Position erarbeitet hat, weil die Konsumenten ihr vertrauen, wird sie dem digitalen Assistenten bereits vorgegeben: „Alexa, suche mir ein Mietauto für das nächste Wochenende auf Mallorca – bei Sixt!" Eine Marke, die in einer Suchanfrage an- und ausgesprochen wird, hat den Jackpot gewonnen.
Marken werden zu Gesprächspartnern
Wer dem Generikum seiner Branche (Mietwagen) entronnen ist und sich auf einen Markennamen stützen kann, ist vorn. Dabei ist es von Vorteil, einen aussprechbaren Markennamen zu haben, ohne knifflige Begriffe anderer Sprachen. (Easycar oder Budget – wie spricht man das aus?)
Marken müssen von Sicherheitsgebern und Vertrauensspeichern zu Gesprächspartnern werden: Interaktion ist nicht mehr nur „like" und „share" – es geht in Zukunft auch um „recommended" und „selected". 60% der USA-Reisenden ziehen eine spontane Reise aufgrund eines Impulses in Erwägung, 57% schätzen personalisierte Informationen aufgrund ihrer erfassten Reisegewohnheiten und jeder Dritte zieht für seine Reiseplanung in Betracht, digitale Assistenten zu nutzen (Link). Sind auch nur die Hälfte dieser Antworten wahr, wachsen neue Herausforderungen für das Destinationsmarketing heran.
Deutlicher als bisher: Marke ist Inhalt, keine Oberfläche
Die Reduktion der Marke auf Kommunikation und grafische Elemente (wie das Logo) wird in Zukunft gnadenlos bestraft. Destinationen, die mit ihren Differenzierungsideen lediglich an der Oberfläche plätschern, können höchstens Grafik- und Designwettbewerbe gewinnen – aber keine neuen Kunden. Denn die neuen Suchsysteme erkennen emotionslos, wer relevanten Content zu bieten hat – und wer sich im Larifari verliert.
Je mehr Kunden sich mit Sprachassistenten befassen und ihre Vorschläge als hilfreich betrachten, desto wertvoller werden die Informationen klassifiziert. Digitale Assistenten sind anhand von Algorithmen auf der Suche nach eindeutigen Handlungsvorschriften zur Lösung eines Problems. Künstliche Intelligenz verbindet einzelne Datensegmente, um aus der Kombination dieser Daten Schlussfolgerungen oder Prognosen zu entwickeln.
Starke Destinationsmarken treten deshalb mit zwei Erfolgsfaktoren auf:
Konsequenter als bisher: Kunden kaufen Sehnsüchte, keine Produkte
Es lohnt sich, wenn Destinationen mit ihren Angeboten auf die Reisemotive der Menschen eingehen und dem Versuch widerstehen, eigene Reisemotive zu erschaffen. Zur starken Marke wird, wer nicht imitiert, sondern kapiert: in erster Linie das, was Menschen in ihrem Innersten auf eine Reise schickt und was sie in einer Destination ausleben können.
Wäre es anders, könnten die bahnbrechenden Erfolge der Reiseplattform Airbnb oder des Bilder-Kommunikationskanals Instagram nicht erklärt werden. Den Vermittler privater Unterkünfte Airbnb machte das Versprechen authentischer Reiseerlebnisse und das Statement „Fahre nicht hin. Lebe dort" zu einem Giganten der Reiseindustrie, neben den etablierten Hotel- und Ressortangeboten.
Auf Instagram soll man „Momente sammeln, nicht Dinge". Damit trifft das Portal jene Destinationsanbieter ins Mark, die ihre starke Infrastruktur und das große Bettenangebot anpreisen. Menschen kaufen keine Kilometer an Wanderwegen und Skipisten, sie kaufen auch keine Quadratmeter pro Zimmer und Ferienwohnung: Menschen kaufen Entdeckung, Abenteuer, Sicherheit und Komfort – und wollen diesen Wunsch der Destination ihrer Wahl anvertrauen. Der Durchschnitt bleibt dabei auf der Strecke und endet im Preiskampf um das Billigste.
Stärker als bisher: die eigene Identität verfolgen
Wenn die Künstliche Intelligenz alle Angebote total vergleichbar macht, werden jene gewinnen, die sich dieser faktischen Vergleichbarkeit entziehen. Das Missverständnis vieler Destinationen, man könne die Erfolgsmuster anderer nachahmen, weil man das Gleiche einfach besser mache, wird sich fatal auswirken. Unser Gehirn bleibt aus Sicherheit beim Gewohnten, wenn es das Neue nicht als deutlich anders erkennt. Kunden erkennen nur das Eigenwillige als anders – nicht das Ähnliche.
Zu den größten Gefahren der Markenbildung für Destinationen gehört, den Erfolg in einer Vielfalt des Angebots zu suchen – und nicht in der Selbstähnlichkeit der eigenen Identität. Auch die Künstliche Intelligenz prämiert das Vertrauen in selbstähnliche Markenerfolgsmuster. Diese fortlaufend zu reproduzieren und in neue attraktive Angebote zu verwandeln – und dabei sich selbst und nicht den Wettbewerb nachzuahmen – markiert den Weg zu einer großen Destinationsmarke.
Dritte übernehmen die Kommunikation durch digitale Möglichkeiten
Die Wahrheit wird sein: Destinationen und Urlaubsanbieter werden die Kommunikation über Nutzen und Relevanz an Dritte abgeben müssen. Ob digitale Assistenten, Künstliche Intelligenz oder im Netz mit ihrer Meinung und Bewertung agierende Kunden: Die Deutungshoheit über Inhalte, Kommunikation und deren Kanäle wandert vom Anbieter zum Kunden.
Dem Anbieter bleibt es, die Anlässe zu steuern und die Kommunikationsanlässe zu initiieren. Das Destinationsmarketing wird vom „Bling-Bling" in eine völlig neue Gestaltungsdimension aufsteigen. Das Marketing für Destinationen wird immer mehr zum Anlass- und Produktentwickler.
Und die Kunden und Gäste? Sie übernehmen das Informations- und Bewertungsgeschäft. Sie filmen und fotografieren in bester Qualität, teilen ihre Erfahrungen mit ihrer Community und werden zu dem, was wir uns heute als „Influencer" wünschen.
Die Demokratisierung der Kommunikation im Marketing ist voll im Gange. Man muss dies aber erkennen wollen.
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