Eines fällt besonders leicht in meinen Projekten, die ich mit gestandenen Marken der Gesundheitsbranche durchführe: anhand des Stichworts „Amazon" ein nervöses Zucken auszulösen. Warum? Weil Technologieriesen des Silicon Valley gerade mit aller Kraft dabei sind, weltweit in die Gesundheitsmärkte zu drängen.
„Wir haben jetzt eine App!" lautet eine gängige Antwort auf meine Frage, wer schon etwas unternommen hat. Sie ahnen es: Das reicht nicht. Groß denken ist gefragt.
Wir haben es mit einer disruptiven Entwicklung zu tun: Geschäftsmodelle und Berufe verschwinden, neue entstehen. Strategien und Praktiken, die bis zu 50 Jahre lang Erfolgsgaranten waren, funktionieren nicht mehr und drohen ihre Relevanz komplett zu verlieren.
Kein Zweifel, die Digitalisierung wird sich stark auf den Gesundheitsmarkt auswirken. Gleichzeitig aber birgt sie enormes Potenzial – für alle Stakeholder, vom Patienten bis zum Krankenhaus. Geschäftlich wie medizinisch.
In Deutschland ist noch wenig davon zu spüren. Woanders ist die Entwicklung schon in vollem Gang:
Auch in den USA befürchten die Gesundheitskonzerne einen aggressiven „Takeover" durch die HighTech-Firmen. Dazu kommen zahlreiche Start-ups, die an Lösungen für Medizin, Pharmaindustrie und Gesundheitsmanagement tüfteln. Ihre Aussichten sind rosig, denn die weltweiten Ausgaben für Gesundheit sollen in den kommenden Jahren um 56 % steigen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann diese Lösungen ihren Kinderschuhen entwachsen sein werden.
Die Bertelsmann Stiftung ließ die Digitalisierung im Gesundheitswesen in 17 Staaten untersuchen (2018). Deutschland landete abgeschlagen auf dem vorletzten Platz (vor Polen). In Ländern wie Dänemark, Estland oder Kanada hingegen gehören digitale Technologien bereits zum Alltag in den Praxen. Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte und Apotheken sind vernetzt, Ferndiagnosen und -behandlungen per Video sind „selbstverständlicher Teil der Gesundheitsversorgung", so die Studie. In Israel setzt man KI bereits systematisch zur Krebs-Früherkennung ein.
Und hierzulande? Die Politik reichte die Verantwortung für den digitalen Wandel weiter, delegierte sie an die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Die Folge: Man klammert sich an altgediente Strukturen. Rund 15 Jahre lang blockierten sich Kassen, Ärzteschaft und Krankenhäuser beim Vernetzen der Patientendaten. Statt ihr Ziel gemeinsam anzupacken, zankten sie sich immer wieder um Geld und Kompetenzen. Immer noch stapeln sich Aktenberge in den Kliniken, die Rezeptdrucker rattern und Faxgeräte versenden auf Hochtouren Befunde.
In Deutschland wird geredet und gestritten – statt umgesetzt. Währenddessen wächst der Druck auf alle Branchenmitglieder. Sie müssen sich in einem immer härter werdenden globalen Wettbewerbskampf zukunftsorientiert aufstellen, heißt: auf eine digitale Welt vorbereiten.
Gesundheitsminister Jens Spahn will bis 2021 aufholen: Ein „Health Innovation Hub" soll erfolgsversprechende Technologien ausfindig und für Kassenpatienten nutzbar machen. Klar, irgendwo muss man ja anfangen. Politischer Wille sieht aber anders aus. Es fehlt an einer effektiven Strategie und entschlossenem politischen Handeln, was auch die Bertelsmann-Studie bestätigt.
Gesundheits- und Pharmamarken, ob jung oder etabliert, stecken also in einer misslichen Lage. Was können sie unternehmen, um ihre Bedeutung zu stärken? Wie können sie die Digitalisierung gestalten – statt erleiden? Wie können sie ihre Stärken in die Zukunft überführen?
Es gibt drei Hebel, mit denen sie das Potenzial des digitalen Wandels nutzen können – allen Widrigkeiten zum Trotz:
Unser Gesundheitssystem wirkt weit abgeschlagen, denn in den meisten anderen Branchen ist der digitale Wandel weit fortgeschritten. Die Konsumenten vergleichen ihre (digitalen) Erfahrungen, die sie im Gesundheitsmarkt machen, mit anderen Branchen. Dadurch steigen ihre Erwartungen an die Customer Experience entlang analoger und digitaler Markenkontaktpunkte rapide. Dieser Wunsch wird durch neuartige Health-Technology-Angebote verstärkt, denn sie führen vor, was machbar ist. Der „aufgeklärte Patient" will seine Gesundheit selbst in die Hand nehmen – weil er aber kein Mediziner ist, braucht er dazu das Wissen der Akteure im Gesundheitswesen.
Somit ist die elegante, einfache, kosten- und zeiteffiziente Kundenreise ein fast unbesetztes Feld, in dem Akteure – von Krankenkassen bis Arztpraxen – beeindruckende Erlebnisse schaffen können. Ich persönlich bin jedes Mal erleichtert, wenn ich einen Arzttermin einfach online vereinbaren kann.
Unternehmen ohne technische Ausrichtung können die Stärken ihrer Marke verbinden mit dem Knowhow eines Tech-Unternehmens. Weil es kompliziert ist, digitale Angebote in den Leistungskatalog aufzunehmen, kooperieren immer mehr Krankenkassen mit E-Health-Unternehmen.
So arbeitet die Techniker Krankenkasse mit dem Berliner Startup Ada Health zusammen, das eine auf Künstlicher Intelligenz basierende Diagnose-App entwickelt hat. Patienten können ihre Beschwerden eingeben und erhalten eine erste gesundheitliche Bewertung. Die Barmer bietet ihren Versicherten die App Mimi an, mit der sie ihr Hörvermögen testen und auf dem Smartphone abgespielte Musik an ihr Hörprofil anpassen können.
Wer gute, wertstiftende Apps anbietet, kann mit den richtigen Kooperationen dafür sorgen, dass die Digitalisierung nicht nur auf Pilotprojekte und Einzelplayer beschränkt bleibt.
Gerade in Deutschland ist die Sorge um den Datenschutz groß. Je mehr große (und deswegen anonyme) Technologieplayer und je mehr Start-ups einen sogenannten 2. Gesundheitsmarkt initiieren – also einen Markt außerhalb der regulären Krankenversorgung – desto mehr sehnen sich Menschen nach Marken und Unternehmen, denen sie ihre höchstsensiblen Daten guten Gewissens anvertrauen können.
Egal, ob auf regionaler, nationaler oder globaler Ebene: Marken mit einer starken Historie und unzähligen Spitzenleistungen profitieren besonders von dem Vertrauen, das sie über viele Jahre aufgebaut haben. Dieses müssen sie geschickt auf digitale Lösungen übertragen und dort weiter ausbauen.
Ich behaupte: Gesundheit und Technik haben nicht nur die besten Voraussetzungen für eine Freundschaft – im Sinne der Notwendigkeit für das System. Sie müssen diese auch schließen, es führt kein Weg daran vorbei. Die Studie der Bertelsmann Stiftung empfiehlt dazu die Etablierung einer „Agentur für digitale Gesundheit": Sie muss Technikstandards definieren, „handlungsleitende Zielbilder" vorgeben, mit Vorgaben einen Rahmen bilden und die vielfältigen Aufgaben und Interessen steuern.
Es geht darum, Symbiosen zu bilden, mit denen die Medizin von gestern in die Welt von morgen gelangt. Nicht nur zum Wohl der Firmen, sondern damit wir alle – egal, ob Patienten oder im Gesundheitssystem Beschäftigte – von der besten Medizin profitieren.
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