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Konsumenten und die Wechselbereitschaft von Marken

7. Dezember 2020

Brand Future: Überfordern Marken die Verbraucher?

Abstract

Woran erkennen wir bereits heute, was den Markenerfolg von morgen bestimmen wird? In der Reihe „Brand Future“ stelle ich aktuelle Ereignisse und Erkenntnisse zusammen, die eine genauere Betrachtung verdienen: weil sie womöglich richtungsweisend sind. Sie basieren auf meinem Podcast BrandTrust Talks Weekly und auf meinen Beiträgen auf LinkedIn. Ich freue mich, wenn Sie dort mit mir diskutieren.

Wir kennen die Konsumenten offenbar weniger gut, als wir denken. Sie sind vom Überangebot überfordert und haben genug von platten Inszenierungen. Während sie Abos gut finden, mögen sie Schnäppchentage wie BlackFriday immer weniger.

Diese fünf Ereignisse und Erkenntnisse sind mir in den vergangenen Wochen aufgefallen. Sie geben Hinweise, wie die Markenführung der Zukunft aussehen sollte:

Hören Sie sich die Pocast-Episoden "BrandTrust Talks Weekly" an und diskutieren mit mir über die Themen (mein LinkedIn-Profil).

1. Haben Verbraucher das Überangebot satt?

Netflix startet ein lineares Fernsehangebot. Erst einmal in Frankreich, in anderen Ländern wird „Netflix Direct" noch getestet.

Warum macht Netflix das? Ist es nicht gerade die überbordende, allzeit bereite Fülle, die Netflix ausmacht? Aktuell würden wir über vier Jahre brauchen – durchgehend – um alle Inhalte zu streamen, satte 36.000 Stunden. Ist das nicht wunderbar?

Eher nein. Es ist für viele Verbraucher auch ein Problem. Spätestens seit dem Buch „The Paradox of Choice: Why More Is Less" von Barry Schwartz wissen wir: Eine große Auswahl zu haben, ist nicht immer ein Segen. Sie kann sogar schädlich sein und das Gegenteil bewirken. Psychologen sprechen von „Entscheidungsüberlastung".

Netflix hat das Problem wohl erkannt. Aber diese Überforderung im Konsum ist nicht nur für digitale Plattformen ein Thema: Sie betrifft Marken generell und Brand Manager müssen das ernst nehmen. Zum Beispiel jene, die ihre Marken durch Dehnung überstrapazieren, etwa im FMCG-Markt.

Startups wie Outfittery profitieren von dieser Entscheidungsmüdigkeit: Die Gründerin Anna Alex sagte, wenn Männer zwischen 600 blauen Hemden auswählen können, wüssten sie nie, ob sie das Richtige gewählt haben. Barry Schwartz macht es am Beispiel einer Jeans deutlich.

Übertragen auf den Netflix-Konsum heißt das: Wir fragen uns ständig, ob wir die richtige Serie, Film oder Doku ausgewählt haben – und ob wir etwas Besseres verpassen. Es stresst uns, ständig aufs Neue entscheiden zu müssen. Und das, obwohl Netflix mit seinen Algorithmen für uns kuratiert und personalisiert „vordenkt".

Übrigens: Der lineare Netflix-Sender ist nicht nur für ältere wie Baby Boomer und Generation X interessant. Auch die "ach so digitale" Gen Z stresse das ständige Auswählen, sagt mein Kollege Kees Elands von unserem Trendspezialisten TrendsActive: „Netflix Direct gives an answer to a certain need to keep things very simple", urteilt Kees.

Die neue Netflix-Idee ist also aus Markensicht sehr interessant. Der Sender spricht Sehnsüchte und Knappheiten geschickt an. Wir Verbraucher wollen auch mal abschalten können. Marken müssen diesem Wunsch gerecht werden.

2. Brauchen jetzt alle Marken ein Abo-Modell?

Sie haben es bestimmt mitbekommen: Interbrand hat gerade sein Markenwert-Ranking 2020 Best Global Brands veröffentlicht. Wie jedes Jahr wird es von Markenentscheidern heiß ersehnt, weil es Entwicklungen aufzeigt, die weltweit wegweisend für Marken sein können.

In diesem Jahr haben sich die New Yorker auf ein Urteil eingeschossen, das mich beschäftigt: Es seien vor allem Geschäftsmodelle, die auf Abos basieren, die den Markenwert steigern würden. Weil mit Abo-Modellen „echte Beziehungen" zu den Kunden aufgebaut werden könnten. Ist das so?

Klar, die Schlussfolgerung der Studienautoren liegt nahe: Immerhin besitzen zwei Drittel der Topmarken, die 2020 zweistellig wuchsen, ein Abonnentenmodell. Das ist tatsächlich beachtlich.

Trotzdem muss ich widersprechen: Es ist nicht richtig, dass Marken quasi automatisch „echte Beziehungen" zum Kunden aufbauen können, nur weil sie ein Abo-Modell installiert haben. Dazu gehört schon mehr.

Ein Abo-Modell muss immer einen klaren Wert bieten. Es muss mehr sein als eine verlässliche Dienstleistungsroutine, damit die Kunden „auftauen" und eine Beziehung zulassen. Ein Abo-Modell darf niemals austauschbar sein (wie das Abonnement einer Tageszeitung, die einfach nur ausgetragen wird). Sonst klappt es nicht mit der Beziehung zum Kunden.

Interbrand behauptet außerdem, für physische Produkte sei es oft schwerer, ein beziehungsstärkendes Abo-Modell aufzusetzen, als für digitale Produkte. Auch dieser Meinung bin ich nicht: Wenn es gelingt, mit einem Abo-Modell einen individuellen Mehrwert zu schaffen, ist es völlig egal, ob für ein physisches oder digitales Produkt. Es kommt auf die Einzigartigkeit des Modells, den Mehrwert und den Ehrgeiz an, den Kunden immer wieder aufs Neue zu überraschen.

Spotify ist ein wunderbares Beispiel. Die Abonnenten bekommen personalisierte, kuratierte Playlists – also einen starken, einzigartigen Service. Das zahlt sich aus: Spotifys Markenwert stieg um 52 % auf 8.389 Millionen US-Dollar – ein Sprung um 22 Plätze auf Platz 70. Durch gewiefte Abo-Modelle wie dieses kann eine Marke ihren Kunden tatsächlich näherkommen und ihren Wert stärken.

Was bedeutet das Interbrand-Ergebnis nun für die Markenführung? Brauchen jetzt alle Marken ein Abo-Modell, ist das die Zukunft der Markenführung? Oder sollten wir das Ergebnis besser als Weckruf verstehen: Müssen Marken (endlich und ernsthaft) mehr Nähe aufbauen, ihr Angebot personalisieren, mehr Gemeinschaftssinn zeigen – auf welche einfallsreiche Weise auch immer? Was denken Sie?

3. Black Friday – Abverkauf auf Kosten der Marke?

Jedes Jahr im November, kurz vor dem Black Friday, frage ich mich: Was bringt dieser Rabatttag eigentlich den Marken, die sich beteiligen? Ich bin skeptisch.

So gewinnt aktuell das Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung. Drei von vier Konsumenten, die am Black Friday teilnehmen, wollen dieses Jahr gründlich überlegen, was sie wirklich brauchen. Zwei Drittel der Verbraucher möchten sowieso nicht am Black Friday teilnehmen oder zumindest weniger Geld ausgeben als im Vorjahr. (Studie der Vergleichsplattform Idealo mit YouGov)

Natürlich gibt es in solchen Umfragen einen hohen Bias aufgrund sozialer Erwünschtheit. Gern beteuert man „Ich fliege nie wieder für 5 Euro nach Mallorca!" oder „Auf die krassen Rabatte bei H&M reagiere ich nicht" – und tut es doch. Dennoch zeigen die Ergebnisse: Es gibt eine Tendenz zur Zurückhaltung.

Ich behaupte: Die Marke Black Friday befindet sich am Scheideweg. Marken, die sich in diesem Jahr beteiligen, können die Auswirkungen zu spüren bekommen. Es besteht die Gefahr, dass sich die Werte des Black Fridays negativ auf die Marken auswirken, weil sie als Umweltsünder wahrgenommen werden könnten.

Die ersten Marken sagen klar, dass sie nicht teilnehmen werden dieses Jahr und starten Gegenaktionen. Ikea zum Beispiel greift das Thema Nachhaltigkeit auf und veranstaltet den "Buyback Friday" statt "Black Friday" – Kunden können ihre alten Möbel zurückbringen und bekommen dafür Wertgutscheine. Bereits 2019 gab es bereits den White Monday, der sich für die Kreislaufwirtschaft einsetzte.

In einem Artikel las ich, dass Apple den Rabatttag 2006 in Deutschland eingeschleust hat. Über die Zeit beteiligten sich immer mehr Marken, bis er vor 2 bis 3 Jahren seinen Peak erreichte. Jetzt, in der Nachhaltigkeitswelle, scheint er überflüssig bzw. zu einer Gefahr zu werden. Das ist zumindest meine Wahrnehmung.

Wie stehen Sie zum Black Friday: Ist er eine tolle Gelegenheit für Marken, um Umsätze nachzuholen? Oder sollten Marken lieber die Finger von ihm lassen?

4. Gen Z und Millenials wechseln ihre Vorlieben

Spannend, wie Spotify seine Nähe zu den Konsumenten nutzt und daraus Ideen für sein Geschäftsmodell ableitet. Mit den Agenturen Culture Co-Op, B3 Intelligence und Lucid führte der Musikstreamingdienst qualitative und quantitative Interviews durch, um Erkenntnisse über die künftigen Generationen und ihr künftiges Markenmanagement zu gewinnen. Drei davon habe ich auf die Markenführung umgemünzt:

  • Die Gen Z denkt gesellschaftliche Normen neu: Für Marken bedeutet das die Chance, ihren Beitrag für Gesellschaft und Umwelt deutlich zu machen, sofern sie einen solchen leisten. Sie können darüber Bindungen aufbauen und jungen Konsumenten für sich gewinnen.
  • Fortschritt ist wichtiger als Politik. Junge Menschen erwarten von Marken, dass sie Stellung beziehen. Was sie sich aber vor allem wünschen, sind Engagement und Inspiration – und keine Selbstinszenierung. Die Gen Z scheint sehr sensibel für das zu sein, was Marken wirklich tun. Ein bisschen Alibi-Blabla hilft hier nicht.
  • Durch Selbstentdeckung zu mehr Gemeinschaft. Gen Z und Millennials entdecken immer wieder neue Vorlieben und ausgefallene Hobbys, die sie ausprobieren. Die Studienautoren ziehen den gleichen Schluss wie wir vor Jahren: dass das Aufteilen der Zielgruppen nach Merkmalen wie Alter oder Geschlecht nicht mehr zeitgemäß ist. Die Menschen dieser Generationen entwickeln zu spezifische Vorlieben, individuelle Identitäten und Werte. Wegen dieser Komplexität ziehe ich für Markenmanager den Schluss, dass die Identität einer Marke klarer denn je ausgedrückt werden muss. Sonst entsteht die Gefahr, die eigene Marke zu verwässern, weil man allen Vorlieben gerecht werden will und damit keinen erreicht, weil man zu gleichförmig und nicht kantig genug kommuniziert.

5. In der Corona-Krise testeten die Konsumenten neue Marken

Eine Studie von McKinsey beleuchtete das veränderte Konsumverhalten im Handel. Spannend fand ich die Erkenntnis mit der Überschrift „Shock to Loyalty": Die Konsumenten seien heute mehr bereit, Marken zu wechseln als noch vor der Corona-Krise. 75 % der Befragten gaben an, gerade ihr Shopping-Verhalten zu ändern. Ein Drittel berichtete, dass man gerade dabei sei, neue Marken auszuprobieren. Und 73 % sagten sogar, dass sie die neuen Marken in ihre Routinen übernehmen möchten (was Marken ja als Ziel haben sollten). Zu den Gewinnern unter den stärker nachgefragten Brands zählten größere Marken, die vertrauenswürdig wirken und Private-Label-Marken.

Diese Erkenntnisse ziehe ich daraus:

  • Gerade in dynamischen Zeiten gibt es für Marken die Chance, neue Kundengruppen zu gewinnen, die vorher kaum zu gewinnen waren – etwa weil man nicht in deren Relevant Set war.
  • Diese Kundengruppen gewinnt man nur, wenn es gelingt, systematisch Vertrauen aufzubauen.
  • Sobald die Konsumenten Ihre Marke ausprobieren, muss sie liefern! Es ist der „Moment of Truth". Wer in dieser aufmerksamkeitsstarken Ausprobierphase enttäuscht, wird es schwer haben, wieder ins Relevant Set zu kommen.
  • Jetzt ist Zeit für Werbung: Nicht für nichtssagende Kommunikation, die billig um die Gunst der Leute kämpft, sondern von vertrauenswürdiger Kommunikation, die auf der Markenidentität aufsetzt und das verstärkt, was die Konsumenten vielleicht schon als Vorurteil im Kopf haben.

Produkte, die noch keine Marken sind, werden es schwer haben. Das gilt auch für Marken, die nur Durchschnitt liefern oder Marken, die nur Illusionen bieten.

Hören Sie sich die Pocast-Episoden "BrandTrust Talks Weekly" an und diskutieren mit mir über die Themen (mein LinkedIn-Profil).

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