Abstract
Unser Partner und Gründer Klaus-Dieter Koch lädt jeden Monat zu einem virtuellen Kamingespräch ein. Führungskräfte diskutieren über Themen wie Leadership und Vertrauen. Im 3. Treffen ging es um „das Ende der Durchschnittlichkeit“. Weinkenner Martin Kössler wählte zu diesem Anlass einen Wein, der zum Thema passt: Aligoté der Familie Goisot Wir schickten diesen vorab an die Teilnehmer. Leider konnte Martin Kössler nicht persönlich teilnehmen, darum schrieb er ein Essay über „Das Ende der Durchschnittlichkeit auf dem Weinmarkt“. Wir finden es so großartig, dass wir es hier veröffentlichen.
Vor Jahren setzte auf dem Weinmarkt ein Trend ein, den die Corona-Krise rasant beschleunigte: Das, was zuvor als „großer Wein" galt, steht jetzt in der Metro auf Paletten und im Einzelhandel im Selbstbedienungsregal. Aus einstmals gesuchten Namen und Etiketten wurde Ramschware für alle. Es setzte Verunsicherung ein. Das Rennen machten Klischees wie Lugana und Primitivo.
Während bekannte Namen vermasst werden, entsteht auf der anderen Seite des Marktes ein radikaler Gegentrend: Engagierte Winzer widersetzen sich der rasant zunehmenden Industrialisierung. Lieber widmen sie sich vergessenen alten Rebsorten. Sie kümmern sich nicht mehr um Kunden, sondern vor allem um sich und ihr Plaisir.
Der Trend greift um sich – auf der ganzen Welt. Selbst Kalifornien verändert sich rasant. Australien erfindet sich von Grund auf neu. Nur Bordeaux, Burgund und Deutschland machen weiter wie bisher, setzen auf Technik und Bewährtes.
Es entstehen neue Weinmärkte: Plötzlich spricht man über „Orange Wine" und Naturwein. Bio wird zurückgedrängt. Eine neue, junge Kundschaft tritt auf den Plan. Sie ist bereit, für lustige Etiketten und „Funky Wein" viel Geld zu bezahlen.
Das Image des Weins verändert sich, der Markt teilt sich auf. Das qualitative und stilistische Spektrum wird so breit, wie es vermutlich noch nie war. Es entsteht ein völlig neues Interesse am Wein. Es geht nicht mehr um berühmte Namen und Etiketten, sondern um Inhalt, um neue Spitzenleistungen.
Corona forcierte dieses Phänomen. Das Mittelmaß, das überall zu haben ist – von der Tankstelle bis zum Discounter – wird weiterhin den Weg zu den Kunden finden. Doch der Kundige wendet sich ab. Er beschäftigt sich intensiver mit Wein, investiert Mut und Zeit und sucht das Erlebnis.
Inzwischen wurden hunderte junger Leute, die zu Hause kein Weingut haben, zu Weintechnikern und Kellermeistern ausgebildet. Sie gehen in Regionen, in denen sie sich das Rebland leisten können. In allen bekannten Weinbauregionen ist es längst zu teuer.
So entsteht in abgelegenen Weinbauregionen Europas ein Boom an anspruchsvoll gemachten Weinen – aus wenig bekannten Rebsorten und noch weniger bekannten Herkünften. Es entsteht ein neuartiger Weinmarkt.
Aligoté, die vergessene Rebsorte Burgunds, zeigt diese Entwicklung. Früher war das eine verrufene Rebsorte, die nur deshalb verrufen war, weil es zu viele Winzer gab, die ihre Neigung zu hohen Erträgen ausnutzten. Das ist aber nicht der Rebsorte anzulasten, sondern der Gier der Winzer, doch hier wird in unserer Branche leider kaum differenziert.
Heute wird der Wein von engagierten Winzern aufwendig produziert und erreicht plötzlich ein Niveau, das sich mit den großen, um ein Vielfaches teureren Weißweinen bekannter Lagen Burgunds messen kann. Aligoté hat plötzlich Zukunft und ist in aller Munde.
Zum Beispiel der Aligoté der Familie Goisot. Nur 9 Kilometer vom weltberühmten Chablis entfernt, produzieren die Goisots – auf identischem Boden und Klima wie in Chablis – in aufwendiger biodynamischer Bewirtschaftung einen Aligoté, der zwar seinen Rebsorten-Charakter nicht verleugnen kann, aber in Machart und Mundgefühl mit den großen Weißweinen Burgunds mithalten kann.
Kaum Frucht – die mögen die Franzosen gar nicht, denn hochwertiger, handwerklich hergestellter Weißwein ist nie fruchtig. Er ist würzig, komplex in den Aromen, duftet nach Blüten, nach nassem Stein. Er wird wie vor hundert Jahren mit der wilden Hefe vergoren, ohne jede Behandlung lange auf der Hefe in Holzfässern ausgebaut und dann unfiltriert, mit nur ganz wenig Schwefel, abgefüllt. Ein Weißwein wie früher, höchst professionell produziert mit dem Wissen von heute.
Die Goisots genießen Kultcharakter in Frankreich. Ihre Weine werden zugeteilt, sind lange im Voraus ausreserviert. Mittelmaß gibt es hier nicht. Die Kunden, die Wein mit offenem Blick und offenem Geist genießen, suchen genau solche Trouvaillen.
Diese Weine sind ungewöhnlich preiswert (18 Euro die Flasche) und besitzen eine sehr hohe Qualität, die man natürlich beurteilen können muss. Sie sind nur sehr begrenzt verfügbar, weil sie immer aus einer sehr kleinen, handwerklich aufwendigen Produktion stammen. Das ist ein wichtiger Teil der Geschichte, die sich jetzt auch auf die Butter, das Brot, gutes Fleisch und alte, hochwertige Gemüsesorten ausdehnt.
Solchen Weinen und Produkten gehört die Zukunft. Sie sind seit der Corona-Krise so gesucht wie nie zuvor. Die Kunden hatten Zeit und Muße, sich damit zu beschäftigen. Und sie erkennen nun deren Wert.
Während die einen Winzer also mit wüsten Rabatten versuchen, ihre banalen Allerweltsweine loszuschlagen, teilen besagte Winzer ihre Weine zu, weil diese begehrt werden. Aligoté wird in den kommenden Jahren neue Popularität erfahren – unter Weintrinkern, die noch vor wenigen Jahren die Flasche nicht mal angeschaut hätten.
Es geht also nicht um elitäre Luxusartikel als Gegensatz zum Mittelmaß. Es geht um Kennerschaft. Um profunde Kriterien. Um persönliche Geschichte. Um die Faszination des Handwerks.
Dies ist nie Mittelmaß, wenn es professionell betrieben wird, sondern der eigentliche Luxus. Zu dessen Beurteilung und Genuss gehört weit mehr, als nur der große Name und ein hoher Preis. Die Individualität ist der wahre Luxus – nicht das berechenbare, nur auf Klischees basierende Mittelmaß des großen Namens.
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Martin Kössler
Gastautor und Weinkenner
Es entsteht ein völlig neues Interesse am Wein: Es geht nicht mehr um berühmte Namen und Etiketten, sondern um Inhalt.
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