Achtung, das Folgende meine ich zynisch. Aber In der „Ära des Zynismus", die Havas Media ausgerufen hat, darf das ja mal erlaubt sein. Also, los geht's:
Worum geht es eigentlich in der Markenführung? Dass wir ständig neue Trendthemen als „Next big thing" feiern? Dass wir Trends wortgewaltig diskutieren, ein Umdenken anmahnen oder gar davor warnen? Und dass wir irgendwann erkennen müssen: Wie schade, das war bloß heiße Luft?
Einige Beispiele weithin bekannter Heißluft-Themen:
Die Corona-Jahre holten unsere Markenwelt auf den Boden der Tatsachen zurück. Weil sie ersichtlich machte: Viele dieser vollmundig diskutierten Herausforderungen wurden vom Gros der Marken nicht oder nur unzureichend gemeistert.
Schon der erste Lockdown zeigte, wie es um die Markenführung in den Unternehmen steht. Zum Beispiel, welches Credo bei adidas herrscht. Von sportlichem „Teamgeist" konnte nicht die Rede sein, als der Konzern Shop-Mieten einsparen wollte, zu Lasten der Vermieter. Bei der Steakhauskette Maredo offenbarte sich, dass sie vermutlich nur noch am Markt existierte, weil sich regelmäßig Messegäste und ein paar Vertriebler mit ihren Kunden dorthin verirrten.
Die Kette Runners Point konnte vom florierenden Läufer- und Gesundheitstrend nicht profitieren, weil sie sich an ihrem Angebot an Lauf- und Style-Sneakern aufrieb, anstatt ihrem Namen gerecht zu werden: DIE Anlaufstelle (der Point) zu sein für Läufer (Runner).
So, jetzt höre ich auf mit dem Herumkritisieren. Denn: Wir können die Corona-Krise und ihre Folgen auch anders framen. Weil sie uns zeigte, worum es in der Markenführung wirklich geht. Sie erinnerte uns daran, dass die Ur-Funktionen von Marken unverzichtbar sind, auch im heutigen Hyperwettbewerb: Marken müssen Orientierung geben und Vertrauen stiften.
Die Frage ist allerdings: Was kommt danach? Was brauchen Marken außerdem, wenn die Leistungen von Marke und Produkt vermittelt sind, die Werte artikuliert und die Orientierungs-Codes gesetzt?
Meine Antwort: Jetzt kommt die Phase, in der es auf echte Bindungen zwischen Mensch und Marke ankommt. Ich nenne diese Phase „Engagement Era". Damit will ich keine weitere schicke Trend-Debatte entfachen, die irgendwann wieder abflacht. Für mich ist das nicht weniger als der richtige Weg in die erfolgreiche Markenzukunft.
Erinnern Sie sich an den ersten Lockdown: Welche Marken hatten eine derart enge Bindung zu ihren Kunden, dass ihnen selbst das Schließen von Vertriebs- und Absatzkanälen nichts anhaben konnte? Welche Marken wurden auch im E-Commerce von ihren Kunden bevorzugt? Welche Marken hatten eine so enge Beziehung, dass ihre Social-Media-Posts während des Lockdowns als relevante Nachricht angesehen wurden, die zu echter Interaktion führten?
D2C (Direct-to-Consumer) ist einer der zentralen Trends in der Markenführung. Bei solchen D2C-Marken findet die Kundenbeziehung direkt zwischen Kunde und Marke statt, ohne Zwischenhändler. Obgleich die Corona-Krise nicht ihr Geburtshelfer war, sondern nur ein Verstärker und „Erinnerer", zeigt er, worum es in der Markenführung gehen sollte: um Bindung und Engagement.
Etablierte Unternehmen können viel lernen von jungen Marken wie Snocks, was Engagement in der modernen Welt bedeutet. Snocks verkauft Socken und Unterhosen, ist also in einem Markt aktiv, der als saturiert galt. Dennoch hat es die Marke geschafft, zum Freund der Kunden zu werden.
Menschen wünschen Marken, mit denen sie eine echte Bindung eingehen können. Damit meine ich nicht Love Brands. Dieses gern zitierte Konzept wird wissenschaftlich bereits stark hinterfragt. Marken müssen nicht zum Liebespartner werden – davon hat jeder Mensch (meistens) nur wenige.
Aber: Eine Marke kann sich zum guten Freund, zur engen Freundin aufschwingen. Dann bleiben ihr die Kunden treu, verteidigen sie sogar. Wie in einer guten Freundschaft engagieren sie sich, schreiben zurück und rufen an, wenn es wichtig ist. Das ist echtes Engagement, an dem sich Marken in Zukunft messen lassen müssen.
Dafür braucht es – zwingend! – die Abkehr von rein taktisch geprägtem Marketing. Für Engagement braucht es echte Tiefe, Authentizität. Die häufig anzutreffende Phrasendrescherei und Oberflächlichkeit hat die Kunden misstrauisch gemacht.
Snocks zeigt, wie Marken auf dem Weg in die „Engagement Era" vorgehen sollten: Das Startup hat sich zuerst vergegenwärtigt, was die Knappheit und Sehnsüchte ihrer Kunden und Anwender sind. Die einfache Frage: „Was stört Menschen bei Sneaker-Socken oder Unterhosen?" hat gereicht, um der Marke die Basis für ihren Erfolg zu geben. Auch wenn die Marke ein Verfechter von Daten und Analysen ist: Um herauszufinden, was Menschen von Socken und Unterhosen wirklich erwarten, hätte es keine Berge von Daten gebraucht. Es sind aber sinnvolle Begleiter, um die Botschaften zu ermitteln, die das Herz bewegen und zur Freundschaft einladen.
Wie wäre es, wenn wir im neuen Jahr 2022 Buzzwords wie Purpose, Narrativ oder „Reason Why" ad acta legen? Jedes davon mag seine Berechtigung haben – aber ohne kritische Prüfung, ob es wirklich einen Zweck erfüllt, verleitet es zu einer künstlich aufgebauschten, nicht authentischen Kommunikation. Und die Konsumenten würden noch misstrauischer.
Ich plädiere für die Renaissance des gesunden Menschenverstands und des Bauchgefühls, gerne unterstützt durch Datenanalysen. KI-basierte Analysen sind hilfreich, um jene Botschaften zu ermitteln, die das Herz bewegen und zur tiefen Freundschaft einladen.
Vielleicht kann ich es auf die These herunterbrechen: Wirklich große Ideen entstehen nicht aus Datenmengen, sondern aus Bauchgefühl und Instinkt.
Wenn Sie bis hierhin gelesen haben: Danke dafür! Sie haben mir Engagement entgegengebracht und Zeit für meine Gedanken geopfert. Jetzt haben Sie die Wahl: Entweder Sie halten meine „Engagement Era" für heiße Luft – oder sie nehmen diese ernst und beginnen damit, echtes Engagement einzuleiten zwischen Ihren Kunden und Ihrer Marke.
Dieser Beitrag erschien auch in Horizont und Werbewoche.
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