Als ich das diesjährige Edelman Trust Barometer las, dachte ich mir nur: „Autsch". Ich skippte durch die Folien und immer wieder entkam mir ein „oh, oh, ohhhh". Auweia, die Ergebnisse sind besorgniserregender als ich dachte.
Wir erinnern uns: Schon 2021 stellte Edelman fest, dass das Vertrauen der Menschen sinkt. Sie suchen nach Halt und Orientierung in einer Zeit, die von Desorientierung, VUCA und Lügen geprägt ist. Ich empfahl Marken, Unternehmen und Arbeitgebern, diese Krise als „Chance" zu nutzen, um sich als Vertrauensanker zu etablieren (Menschen brauchen neue Vertrauensanker: Marken müssen die Chance nutzen).
Ich dachte, dieses Maß an Misstrauen sei kaum zu toppen – aber es kam schlimmer. Die Menschen wurden noch misstrauischer. 59 % der Befragten betonen aktuell, dass sie erstmal tendenziell misstrauen – so lange, bis sie vom Gegenteil überzeugt werden.
Das bedeutet: Ich verwerfe meinen Begriff „Chance" aus dem vergangenen Jahr und spitze stattdessen meine These zu: Unternehmen und ihre Marken MÜSSEN ab jetzt Vertrauen stiften, sie MÜSSEN Orientierung geben.
Unsere Wirtschaft hat den historischen Auftrag, am Beseitigen dieses gefährlichen Misstrauens federführend mitzuwirken. Es ist womöglich die einzige Chance, das gesellschaftliche Vertrauen wieder auf ein verträgliches Level zu bringen.
Das sind meine Highlights aus der Studie – oder besser: meine „Lowlights".
Die Menschen sehen soziale Probleme wie Rassismus oder Freiheitsbeschränkungen (Zunahme um 6 bzw 4. Punkte), gleichzeitig halten sie die Politik für nicht in der Lage, solche Probleme zu lösen. In mehr als der Hälfte der Länder fiel das Vertrauen gegenüber der Politik (in 17 von 27 Ländern).
Auch das Vertrauen Medien gegenüber ist in mehr als der Hälfte der Länder gefallen (15 von 27 Ländern). Erschwerend hinzu kommt: Politik und Medien werden sogar als spaltend wahrgenommen.
Edelmann geht sogar so weit, von einem Zirkel des Misstrauens zu sprechen, in dem die Medien und die Politik die zentralen Treiber sind. Beide würden dazu beitragen, dass sich die Gesellschaft weiter spaltet. Vornehmlich, weil die Medien einfach nur Klicks als Ziel haben und Politiker die Wählerstimmen.
Ob Journalisten, politische Oberhäupter oder Führungskräfte – etwa zwei von drei Befragten glauben, dass diese lügen und Fehlinformationen verbreiten. Bei Journalisten gehen 67 % der Befragten davon aus (krasse 8 Prozentpunkte mehr als 2021) und bei politischen Oberhäuptern 66 % (plus 9 %). Dass Business-Führungskräfte lügen oder willentlich übertreiben, glauben 63 % (plus 7 %).
Zwar haben die traditionellen Medien seit 2012 ein Verlust von fünf Punkten hinnehmen müssen – doch immerhin: Sie befinden sich weiterhin im positiven Bereich. Social Media hingegen liegen im Misstrauensbereich, sie verloren in den vergangenen zehn Jahren satte 8 Punkte. Es wuchs außerdem die Sorge, dass Fake News als Waffe verwendet werden könnten – mit 76 % ist das ein Allzeithoch.
In vielen hochentwickelten Staaten herrscht ökonomischer Pessimismus. In Japan, Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Kanada, USA, Malaysia, China – also größtenteils hochentwickelte Länder – erfahren einen „Alltime Low". Dort sinkt der Glaube, dass es einem in einigen Jahren besser geht.
Edelman wird überdeutlich, welche große Rolle Unternehmen und NGOs übernehmen könnten. Sie werden – im Vergleich zu Politik und Medien – für überdurchschnittlich begabte Problemlöser gehalten, die einen positiven Wandel bewirken können. Es wird ihnen zugetraut, eine Führungsrolle einzunehmen, was die Lösung sozialer Probleme angeht. Sie werden als nicht spaltend angesehen.
Von Unternehmen wird erwartet, dass sie wirksame Pläne und Strategien umsetzen. Von NGOs wird angenommen, dass sie alle Interessen gerecht und fair behandeln.
Wie groß das Vertrauen in NGOs und Business ist, zeigt die Vier-Felder-Matrix: Demnach wird ihnen bei ethischem Handeln und Kompetenz inzwischen mehr zugetraut als noch im vergangenen Jahr. Der Politik hingegen wird noch weniger Kompetenz zugesprochen als 2021. Aus diesem Grund hält Edelman Unternehmen und NGOs als treibende Kräfte, die den Kreislauf des Misstrauens effektiv unterbrechen können.
Man könne die Erwartungen und Hoffnungen Unternehmen gegenüber sogar erhöhen, meint Edelman. Denn die Menschen betrachten ihre Arbeitgeber als zentrale Vertrauensanker. Ihr Vertrauenslevel beträgt stolze 77 % (im Vergleich zu den durchschnittlichen 56 %). Demensprechend gilt die Kommunikation des Arbeitgebers als glaubwürdigste Quelle.
Eine besondere Rolle fällt den CEOs zu. 60 % der Befragten wünschen, dass sie offen über kontroverse soziale und politische Probleme sprechen. Das ist eine Steigerung um 5 Prozentpunkte im Vergleich zu 2019. Und 81 % wünschen sogar, dass diese bei Diskussionen über gesellschaftliche Probleme sichtbar auftreten.
Die Befragten wollen, dass sich Unternehmen für Klima und ökonomische Ausgeglichenheit einsetzen. Wie wichtig das ist, zeigt sich bei der Frage nach den glaubwürdigsten Personen: Den ersten Platz belegt der/die CEO, gefolgt von den Kollegen, sie sind neu im Ranking. (Platz 3 nehmen die Wissenschaftler ein.)
Die Studie liefert Hinweise, dass Marken heine wichtige Rolle im Vertrauensaufbau spielen: Denn ihre Werte und Glaubenssätze haben starken Einfluss darauf, wie sich Menschen entscheiden: 58 % der Befragten sagen, sie kaufen und empfehlen nur Marken, die zu ihren Werten passen. 60 % suchen sich ihren Arbeitsplatz auf Basis dieser Werte aus und 64 % geben an, Sie würden diese bei ihren Investitionen beherzigen.
Spannend ist auch die Skepsis, die gegenüber Werbung geäußert wird: 21 % sagen, dass sie einer Information, die via Werbung verbreitet wird, nicht glauben. Das untermauert eine Studie, die Havas Media 2021 durchgeführt und danach die „Ära des Zynismus" ausgerufen hat (siehe mein LinkedIn-Beitrag Sind Marken mitschuld am „Zeitalter des Zynismus"?)
Es wird deutlich: Unsere Gesellschaften weltweit haben ein massives Vertrauensproblem. Unternehmen und NGOs sollten ihren Einfluss nutzen, um die Lage zu verbessern. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, zu deren Lösung sie verantwortungsbewusst beitragen müssen.
Übrigens: Wer meint, die Ergebnisse des Edelman Trust Barometer müsse man ja nicht allzu ernst nehmen, der täuscht sich: Edelman führt diese fundierte Analyse seit 22 Jahren durch. Befragt werden diesmal 36.000 Menschen in 28 Ländern. Die Studie hat eine starke Aussagekraft.
Diesen Artikel habe ich zuerst auf LinkedIn veröffentlicht. Weil er für die Argumentation BrandTrusts generell wichtig ist, veröffentlichen wir diesen auch auf unserer Website.
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