Norwegian Airlines bietet den Flug von London nach New York – und zurück (!) – für 130 Dollar an. Damit bricht für die Reisebranche eine neue Ära an, denn der Preis bedeutet: An den Kosten für den Transfer wird keine Reise mehr scheitern. Eine der letzten Barrieren, die Reisende davon abhielt, die ganze Welt für Reisewünsche in Betracht zu ziehen, ist abgebaut.
Wer sich bisher aus Kostengründen auf Reisen innerhalb eines Kontinents beschränkte, kann in Zukunft getrost den Sprung über die großen Teiche wagen. Die Transportkosten sind demokratisiert und wurden für jeden bezahlbar. Diese Tatsache wird ein Beschleuniger dafür sein, dass Reisende ihre Ziele künftig wegen ihrer Bedeutung auswählen werden.
Über Jahrhunderte galt: Die dem Wohnort nahen Reiseziele sind bezahlbarer als Fernziele. Dieser Grundsatz wurde durch die ersten Charterflüge in den 60iger Jahren zu den Warmwasserzielen Europas erstmals erschüttert. Und nun? Ist er auf den Kopf gestellt.
Dieser Entwicklung stand das in den USA mit den Southwest Airlines entwickelte Geschäftsmodell Pate: Fliegen kann viel billiger angeboten werden, wenn Komplexität und Kostenstrukturen radikal aufs Wesentliche reduziert werden.
Ryanair demokratisierte das Fliegen in Europa
Es war im Jahr 1992, als der Ire Michael Kevin O'Leary – unbemerkt von den großen staatlichen Airlines – seiner Idee nachging, man könne auch in Europa viel billigere Ticketpreise anbieten, wenn man die Treiber der gesamten Kostenkette gnadenlos eliminiert.
„No frills" – diese Zweiwortkombination umschrieb ein neues Geschäftsmodell in einer Branche, die ihre hohen Preisen mit hoher Komplexität rechtfertigte: Bordverpflegung in unterschiedlichen Klassen, garantierte Anschlussflüge, aufwändige Gepäckumladungen, abgestimmte Startzeiten, hohe Flughafengebühren – all das machte das Fliegen zu einem Privileg für wenige.
Ließe man alles einfach weg – also das Notwendige für wenige und das Überflüssige für viele –, dann sollten bei großer Auslastung der Flugzeuge günstigere Ticketpreise möglich sein, so die Überlegung des Ryanair-Bosses O'Leary. Wie die Sache der gegründeten Low-Cost-Kategorie ausging, ist auf jedem Flughafen der Welt und auf den Buchungsseiten zu erkennen.
Im Windschatten von Ryanair versuchten sich alle etablierten Anbieter – und (zu) viele neue – an diesem revolutionären Modell: die Flugreise für breite Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen. Ryanair hat das Fliegen demokratisiert. Jedes Kind weiß heute: In ein Flugzeug zu steigen muss nicht mehr kosten als in einen Zug, ein Auto oder einen Bus. Sofern man clever bucht und sich nicht auf eine Stadt oder Region festlegt.
Früher waren es nur die Städte der zweiten Begehrlichkeitsstufe und die unattraktiven Flughäfen, die sich günstig erreichen ließen. Auch das ist heute kein Thema mehr. Low-Cost fliegt überall – und wächst in andere Bereiche hinein: Flixbus, Uber und Carsharing sind Derivate der Idee von O'Leary, möglich geworden durch elektronische Vernetzung von Angebot und Nachfrage.
Nie war es einfacher, eine Reise von A nach B zu organisieren. Und noch nie gab es dafür ein größeres Angebot als heute.
Bahnhöfe waren einmal die Treiber des Erfolgs
Vor rund hundert Jahren spielte die Erreichbarkeit eines Ortes die entscheidende Rolle im Wettbewerb, ob eine Stadt oder eine Region sich touristisch entwickeln konnte. Nicht von ungefähr argumentierten Tourismusorte, die heute noch einen klangvollen Namen haben, mit ihrer komfortablen Erreichbarkeit. Ob Zermatt, St. Moritz, Meran, Schruns, Sylt oder Kitzbühel: Die Bahnhöfe in diesen Orten machten aus diesen unscheinbaren Orten erreichbare touristische Ziele. Sie gaben den Orten eine große Bedeutung.
Die ersten Grandhotels standen in Bahnhofsnähe – an der Lebensader des Geschäfts. Wer erreichbar war, war bedeutend. Wer es nicht war, blieb Makulatur – trotz ähnlicher Voraussetzungen wie landschaftliche Schönheit und wirtschaftliche Wachstumsmöglichkeiten.
Anfahrtskosten werden zum kleinsten Kostenteil
Seit der Transatlantikflug für 120 Euro angeboten wird, rückte die ganze Welt näher. Wenn der Flug in einen anderen Kontinent so viel kostet wie eine Bahnfahrt im Inland, hat sich das Thema „Kosten bis ans Reiseziel" erledigt.
Das bedeutet: Der Wettbewerb um das beste Angebot für die größte Reisesehnsucht kann beginnen, grenzenlos. In der Markenkommunikation gewinnen jene Destinationsmarken, die für die potenziellen Kunden die größte emotionale Bedeutung aufbauen.
Wenn Reiseangebote das schaffen, ist alles andere nur noch eine Frage der Organisation. Für Kunden werden damit neue Städte, Regionen und Gebiete relevant, die bisher aus Reisekostengründen ausgeschieden waren. Die Möglichkeiten für die Kunden potenzieren sich beinahe ins Unermessliche.
Gewählt wird, was man kennt oder wovon man sich anregen lässt. Gekauft werden entweder Sicherheit oder Stimulation. Für beides muss ein Reiseziel eine Relevanz aufgebaut haben, die den Ausschlag gibt.
Geografie zu sein und einen Namen auf einer Landkarte zu haben, reicht dafür nicht aus. Es braucht viel mehr, ob Hotel, Region, Stadt oder Land: Sie alle brauchen einen Charakter, den man wahrnimmt und mit dem sich Reisende identifizieren wollen. Sie brauchen eine erkennbare Klarheit, die vor Unsicherheit schützt. Sie brauchen eine hohe Spezifik, die Mittelmäßigkeit unwahrscheinlich macht.
Nur noch Bedeutung zählt
Aus der guten Erreichbarkeit das entscheidende Reisemotiv zu konstruieren, kommt einem gefährlichen Festhalten an der Vergangenheit gleich. Die Kampfansage der Low-Cost-Spezialisten an die etablierten Langstreckenflieger verändert die Bedingungen für Reiseentscheidungen.
Der Narrativ der Zukunft wird ein anderer sein. Nur weil eine Destination nahe ist, ist sie noch lange nicht gut genug. Nur weil sie weit weg ist, ist sie noch lange nicht unerreichbar. Oder auch: Weil es für mich leistbar ist, muss ich es nehmen.
Ab heute gilt: Weil ein Reiseziel für mein Motiv die richtige Lösung ist, will ich dorthin. Die Veränderungen sind heute noch nicht absehbar. Aber sie werden enorm sein.
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