Zu großer Erfolg kann sich gegen sich selbst richten. Das gilt auch für touristische Hotspots, in einigen sind dafür ernste Anzeichen zu erkennen: In Barcelona gehen die Bewohner wegen der Touristenströme auf die Barrikaden, in Palma de Mallorca zieren Parolen wie „tourist – you are the terrorist" die Hauswände und in Dubrovnik quetschen sich die Touristenmassen – darunter neuerdings auch „Game of Thrones"-Fans – durch das zu kleine Stadttor. In Venedig kämpft eine immer größer werdende Gruppe von Venezianern gegen die gigantischen Kreuzfahrtschiffe in der Lagune.
Politisch Verantwortliche kündigen nun drastische Maßnahmen an, um Herr der Lage zu werden. Höchste Zeit! Sie hätten viel früher von Marketing auf Management umschalten müssen, um ihre Destinationsmarken nicht in den Massen- und Preiskampf abrutschen zu lassen. Im Destinationsbusiness ist das keine einfache Aufgabe. Während sich ein Erlebnispark, ein Museum, ein Skigebiet oder ein Naturpark eine Reihe regulierender Steuerungsmöglichkeiten besitzen – etwa über Preisgestaltung, Parkplatzbewirtschaftung und Zugangsbeschränkungen –, ist es für Städte und Regionen weitaus schwieriger, ihre Besucherzahl zu kontrollieren.
Viele politisch Verantwortliche und Tourismusmanager haben sich auf ein rein quantitatives Wachstum des Tourismus fixiert und sich über die Zunahme von Übernachtungszahlen gefreut. Die Schuld am „Overtourism" wird gerne neuen Anbietern wie Airbnb zugeschoben – obwohl Billigflieger über Jahre mit Steuergeldern subventioniert wurden.
Tourismus als ungeplantes Geschehen, mit positiven Effekten und einem strategisch ziemlich planlosen Marketing – das war viel zu lange die Maxime. In vielen Städten, Regionen und Ländern gilt das immer noch. Viel zu wenig ausgeprägt ist das Verständnis, dass Tourismus eine äußerst komplexe Managementdisziplin ist, die idealerweise in die Hände von Markenstrategen gehört.
Respekt: Amsterdam will Souvenirläden einschränken
Es geht auch anders. Die touristisch attraktive Insel Mauritius ist ein leuchtendes Beispiel dafür, wie ein klarer politischer Wille vor unkontollierbarem Tourismus bewahrt. Als Charterflieger noch den Ruf hatten, massenweise Billigtouristen zu transportieren, verbot die mauretanische Regierung ihre Landung. Die Insel war damit nur noch für die teureren Linienmaschinen erreichbar. Zudem redete die Politik beim Bau neuer Hotels kräftig mit: Luxus wurde zum Maßstab. Kombiniert mit dem Verbot, an den Stränden Häuser mit mehreren Stockwerken zu bauen, entstand die Grundlage für das heutige Inselparadies – mit Markencharakter sowie einer klaren Positionierung für Honeymooner und Paarurlauber.
Starke Marken haben starke Grenzen – damit grenzen sie sich deutlich gegenüber den unbegrenzten Möglichkeiten des Wachstums ab. Starke Destinationsmarken wie Mauritius lassen es nicht zu, dass Tourismus „einfach passiert". Sie wissen zu gut, dass ihre Bedeutung und der damit einhergehende Empfehlungscharakter nur dann entstehen, wenn die Gäste eine besondere Handschrift in Produkten und Angeboten erkennen. Ob Weimar oder Meran, ob Whistler Mountain oder St. Moritz: Was dort heute an Architektur, Infrastruktur und Städteplanung bewundert werden kann, hat ihren Ursprung in einer klaren und eigenwilligen Idee. Die Architekten des heutigen Erfolgs überließen nur wenig dem Zufall.
Solche Pioniere scheinen nun wieder Gehör zu finden. So will sich Amsterdam dem Schicksal einer sich selbst regulierenden Stadt nicht ergeben und greift ein: Nur noch Elektroboote von maximal 16 Metern Länge sollen in den Grachten verkehren dürfen. Die Bewerbung innerstädtischer Ziele wurde eingestellt zugunsten solcher, die im Umkreis der Stadt liegen und neben hoher Attraktivität gute Aufnahmekapazitäten haben. Die neue Bewegung „I-am-sterdam" setzt auf das Zusammenspiel zwischen Einheimischen und Gästen und weist per App jene Sehenswürdigkeiten aus, die am Tag bereits zu stark gebucht und besucht sind. Marketing wird zum Management – wie wunderbar für einen konsistenten Markenaufbau, der auf Gästezufriedenheit setzt und in den Warteschlangen vor Sehenswürdigkeiten ein gravierendes Problem erkennt.
Marke ist, wenn Marketing zum Management wird
Weil sich die Handelsstruktur der Innenstadt Amsterdams zur Monokultur billiger Ramschläden entwickelt, soll es künftig nur noch für touristisch wertvolle Sortimente Genehmigungen geben. Schließlich liegt die Zukunft einer Innenstadt in ihrer Spezifik und nicht in ihrer Austauschbarkeit mit anderen Städten. Wie klug. Käme dann noch ein Hotelangebot dazu, das sich deutlich von üblichen Standards unterscheidet sowie eine Gastroszene der eigenen Art: Das wäre die beste Prävention gegen die Marketingseuche, ein vielfältiges Angebot „für alle" offerieren zu wollen. Je spezifischer ein Angebot, desto selektiver werden seine Kunden sein – dies sollte Grundsatz des politischen Willens sein, um die langfristige Attraktivität seiners Ortes oder Region zu sichern. Spät genug hat nun auch Italien die Notbremse gezogen und für Venedig das Anlegen der großen Kreuzfahrtschiffe untersagt. Allerdings soll der neue Kreuzfahrthafen erst in vier Jahren fertiggestellt sein – und bis dahin wird man die problematische Situation noch erdulden müssen.
Starke Marken schaffen es durch ihre Eigenwilligkeit, die richtigen Kunden anzuziehen und zu binden. Diese Selbstbeschränkung mündet auf lange Sicht in eine Wertschöpfung, der Wert und Wertschätzung vorgelagert sind. Destinationen und Städte sollten nicht die Steigerung ihrer Bekanntheit als Ziel haben – sie sollten stattdessen gänzlich andere Fragen beantworten:
Diese Fragen werden in jenen Destinationen gestellt, die nicht mehr auf einer „Destination Marketing Organisation" setzen, sondern auf eine „Destination Management Organisation".
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