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Start-ups in Europa

29. Juni 2020

Start-ups in Europa: Taugt die EU als Gründernation?

Kritische Stimmen sagen, Europas Start-up-Szene sei trotz der Politik entstanden – nicht wegen. Eignet sich der Staatenbund als attraktive Start-up-Nation? Kann er sich gegen die USA und China positionieren? Wir meinen: Ja, sofern er seine Markenwerte schärft und lebt.

Das, was das Silicon Valley um die Jahrtausendwende war, ist Shenzen heute. Nirgendwo sonst auf der Welt gelingt dort nicht nur die Entwicklung von Software, sondern auch das Verknüpfen mit der Hardware. In Shenzen sitzen Multimilliarden-Unternehmen wie Huawei und der Technologieriese Tencent. Selbst Apple investierte 2016 in ein R&D-Zentrum in Shenzen, um die Entwicklung direkt von dort voranzutreiben. Zwar ist die Menge an Risikokapital (Venture Capital), das im Silicon Valley investiert wird, ungeschlagen hoch – doch Shenzen holt auf.

In der EU werden rund 20 Milliarden Euro investiert. Doch der Vergleich mit den USA (130 Milliarden Euro) und China (70 Milliarden Euro) zeigt: Hier gibt es einen deutlichen Unterschied. In Europa mangelt es nicht an Ideen und schlauen Köpfen, doch oft fehlt es an Mut oder Kapital. Oder man scheitert an der Umsetzung und wird von links und rechts überholt.

Inzwischen ist die EU über die Phase der Fehleranalyse hinweg. Wie kann die Marke Europa für Start-ups attraktiver werden? Das muss geschehen:

  1. Die EU braucht mehr Fokus auf Start-ups. Sie muss ihnen auf politischer Ebene mehr Sichtbarkeit geben.
  2. Europa muss sich stärker als Start-up-Nation positionieren, damit es mehr internationales Risikokapital für innovative Ideen abrufen kann.
  3. Der Staatenbund braucht eine konsequente Umsetzung vergangener Fehleranalysen und eine gemeinsame Linie innerhalb der EU-Länder.

Warum gibt es in der EU einen Mangel an Risikokapital? Das lässt sich aus Markensicht, zum Teil, so erklären: Europa hat keine klare, eindeutige Positionierung. Seine Markenattraktivität ist nicht so hoch wie jene der Wettbewerber, das erschwert die Versorgung mit Kapital.

Das bedeutet: Europa braucht eine starke Positionierung, die Kapitalgebern Orientierung und Sicherheit gibt sowie jungen Start-ups aufzeigt, welche Stärken Europa und der Binnenmarkt haben und warum sie diese stärker nutzen sollten.

Europa tickt anders als USA und China

Florian Nöll vom Bundesverband deutscher Start-ups sagte in einem Interview mit dem Handelsblatt: „Wir wollen den Knall hören, die anderen wollen der Knall sein." Mit der Marktgröße, Geschwindigkeit und dem Investitionsvolumen der USA und China kann die EU nur schwer konkurrieren. Darum braucht die EU einen anderen Ansatz, um als Start-up-Nation stark wahrgenommen zu werden.

Drei Thesen zu Stärkung der Markenattraktivität:

1. Nährböden nutzen: Die aktuellen Entwicklungen sind eine Chance für eine langfristig erfolgreiche Positionierung.

Eine stärkere Fokussierung auf Start-ups bietet die Chance, sich langfristig strukturell unabhängiger zu machen von Industrie-Dinos wie der Automobilindustrie. Innovative Start-ups sind anpassungsfähiger und könnten als zusätzliche starke Säule die Widerstandsfähigkeit des gesamten Wirtschaftsraums steigern.

Ein weiterer Nährboden ist der Wertewandel in der Gesellschaft. Alternative Ansätze sind stark gefragt – sei es in der Ernährung, Mobilität oder im Gesundheitssektor. Die Verbraucher schätzen nachhaltigen Konsum und stellen den übergeordneten Sinn von Marken und Produkten in den Vordergrund ihrer Kaufentscheidungen.

Das politische System der USA wurde in der Krise gnadenlos demaskiert, das aufgebaute Vertrauen ging in Teilen unwiderruflich verloren. Auch wenn die Folgen für Europa noch nicht absehbar sind, könnten europäische Start-ups von dieser Krise profitieren. Global gesehen ist das Vertrauen in Europa – in sein politisches System, die soziale Marktwirtschaft und in seine demokratischen Grundwerte – weiterhin sehr hoch. Verbraucher und Investoren sehnen sich in unsicheren Zeiten nach Marken, die Vertrauen stiften.

Es könnte außerdem eine Chance für Europa sein, spezielle Themenschwerpunkte zu setzen, etwa in Bereichen, die ein hohes Maß an Vertrauen für Investitionen voraussetzen: Gesundheit zum Beispiel oder Datensicherheit. Einige Start-ups haben diese Chance bereits erkannt. Betrachtet man die gesamte Start-up-Landschaft Europas in Summe, ergibt sich ein recht heterogenes Bild.

2. Das Bestehende betonen: Die EU hat Spitzenleistungen, mit der sie ihre Attraktivität steigern kann.

Die Kulturcodes der EU unterscheiden sich deutlich von denen der Wettbewerber. Auch wenn die junge Staatengemeinschaft immer wieder durch Alleingänge einzelner auf die Probe gestellt wird, es lässt sich nicht leugnen: Werte, Menschenreche und Ethik spielen einen hohen Stellenwert. Bekennt sich Europa als Start-up-Nation zu diesen Werten, kann sein Weg nicht einer sein, der von Geldvermehrung und explosivem Wachstum geprägt wird wie in den USA oder China. Europa muss seine besonderen Leistungen nutzen: Diversität, Menschlichkeit, Ethik, Vertrauen. Und es sollte sich um bewusstes und nachhaltiges Wachstum bemühen.

Die Erfolgsgeschichte der europäischen Wirtschaft – insbesondere der deutschen – ist geprägt durch eine enorme Expertise des Mittelstands und durch die Kooperationen mit wissenschaftlichen Einrichtungen. Diese „Hidden Champions" tragen erheblich zur Stabilität und Wirtschaftsleistung Europas bei. Im Vergleich zu den USA und China ist die Kompetenz breiter verteilt, sie ist nicht in der Hand weniger großer Player. Das „System EU" ist dadurch vielleicht langsamer, weil Entscheidungswege und Umsetzungen komplexer sind. Doch gleichzeitig bietet genau das ein enormes Potential, um sich zu positionieren.

Es bringt jedoch keinen Vorteil, sich auf diesen Errungenschaften auszuruhen. Sie müssen immer wieder neu bewiesen werden, erlebbar sein, im Idealfall weiter geschärft und präzisiert werden.

3. Stärken bündeln: Die Werte Europas erlebbar machen

Um ein konsistentes Bild abzugeben – nach innen und nach außen, für die ausländischen Investoren – muss Europa seine Marke klarer ausrichten. Je spitzer eine Positionierung ist, desto mehr Orientierung gibt sie und erhöht damit, vorausgesetzt sie wird akzeptiert und umgesetzt, die langfristigen Erfolgschancen.

Der europäische Weg ist ein kooperativer. Einer, in dem auf Basis europäischer Grundwerte Schnittstellen geschaffen werden. Der Mittelstand öffnet sich mit einem breiten Netzwerk für Gründer – anstatt exklusive Ökosysteme aufzubauen wie Apple und Co.

Das heißt: Europa schafft Lösungen, von denen eine breite Masse profitiert und die keine künstliche Abhängigkeit schaffen. Wie das Projekt Gaia-X, mit dem eine vertrauenswürde Dateninfrastruktur für Europa aufgebaut werden soll. Dieses Vorhaben verkörpert genau diesen Grundgedanken: keine zentrale Abhängigkeit, sondern eine Plattform, bei der jeder Cloud-Anbieter andocken und sich an ihrer Weiterentwicklung beteiligen kann, sofern er die Sicherheitsstandards erfüllt.

Neben Gaia-X, das eher die Grundlage zur stärkeren Emanzipation der europäischen Wirtschaft bilden soll, gibt es zahlreiche weitere Beispiele für Start-ups, die auf den Erfolgscodes der EU aufbauen: Sei es Dfinity aus der Schweiz, die nichts weniger vorhaben als die Evolution des Internets. Oder Mindmaze, einem AI-basierten Therapiesystem für Hirnschlag-Patienten. Eine Überwachung der Hirnströme aus der Ferne soll eine deutlich intensivere Betreuung in der ersten Reha-Phase ermöglichen.

Diese Beispiele zeigen: Es gibt Start-ups, deren Businessideen aufgrund ihrer extrem hohen Anforderungen an Ethik und Datenschutz zu Europa passen. Ihre Projekte profitieren so vom Vertrauen der Investoren, Kunden und Patienten. Das macht ihre Entwicklung und Vermarktung deutlich erfolgversprechender als in China oder den USA.

 

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