Tägliche Kaufentscheidungen stellen uns vor die Wahl: bio oder nicht bio? Vegan oder nicht vegan? Sozial verträglich oder sozial unverträglich? Mit unserem Einkauf können wir uns quasi selbst beweisen, welche nachhaltigen Überzeugungen wir haben.
Die Nachhaltigkeit ist längst ein omnipräsenter Begleiter unseres Alltags, ob in den Nachrichten über die CO2-Steuer oder beim Streit über das Mülltrennen mit dem Nachbarn. Doch trotz des steigenden Umweltbewusstseins in unserer Gesellschaft: Nach wie vor ist die Kluft zwischen nachhaltiger Überzeugung und nachhaltigem Handeln tief. Darauf gehe ich in diesem Beitrag näher ein.
Fakt ist: Nachhaltigkeit ist universell zu einem der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren aufgestiegen.
Studien beobachten eine Abkehr vom reinen Konsumismus. In der modernen westlichen Gesellschaft wächst das Umweltbewusstsein und beeinflusst den Konsum. Das Bedürfnis der Konsumierenden, moralisch gut zu handeln, steigt (Umweltbundesamt 2021). 88 % der deutschen Kunden und Kundinnen würden dabei Marken bevorzugen, die die Möglichkeit nutzen über ihre Geschäftstätigkeit globale Herausforderungen zu lösen (BrandTrust Impact Brands Studie).
Der Wissenschaftler Nico Stehr bezeichnet das als „Moralisierung der Märkte". Nährböden dafür seien zum einen der Anstieg des Wohlstands, in dem die materielle Sicherheit zu einer individuellen Wahlfreiheit führe. Zum anderen sei das fortschreitende Humankapital (Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten) eine wichtige Antriebskraft der Moralisierung.
Dieser Megatrend nennt sich Neo-Ökologie. Die Trendbewegung wird von einem moralisierten Wertesystem getragen und wächst besonders durch kollektive Erfahrungen, zum Beispiel dem Nuklearunfall von Fukushima, der Covid-19-Pandemie und der Extremwetterereignisse in Rheinland-Pfalz.
Nachhaltigkeit gehört inzwischen zur globalen Mentalität.
Die kurze Antwort lautet: jein. Sie kennen das sicher aus eigener Erfahrung: Am Abend sehen Sie einen Bericht, dass Monokulturen schlimme Auswirkungen haben, Sie finden das furchtbar – und trotzdem greifen Sie am nächsten Tag im Supermarkt zum plastikverpackten Paprika und verzichten auf die doppelt so teuren Bio-Paprika.
Mit diesem widersprüchlichen Verhalten sind Sie nicht allein: In einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY gaben 53 % der Befragten an, besonders bei Trinken und Essen Wert auf Nachhaltigkeit zu legen (2021) – dennoch machen Bio-Lebensmittel nur einen Anteil von 6,4 % am deutschen Lebensmittelumsatz aus.
In der Verhaltensökonomie nennt sich diese Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln „Attitude Behavior Gap". Zu Deutsch: Einstellungs-Verhaltens-Lücke. Einfach gesagt, handeln Menschen demnach bewusst umweltschädlich, trotz ihrer nachhaltigen Einstellung.
Die Frage, die sich hier stellt: Warum handeln Menschen entgegen ihren Überzeugungen? Und wie können Marken dem entgegenwirken?
Im Webinar am 7. Dezember "Differenzierung im Nachhaltigkeitsboom: Wie Marken den Unterschied machen" erfahren Sie mehr zu dem Thema. Melden Sie sich hier kostenfrei an.
Für vier typische Probleme schlage ich folgende Lösungen für Marken vor:
Im Schnitt kosten nachhaltige Angebote mehr als konventionelle. Jedoch lassen sich die Kosten nicht nur auf den rein monetären Faktor reduzieren. Zum einen erhöht sich der Aufwand beim Einkauf wegen der Suche nach Informationen und der Überprüfung, ob die Produkte auch wirklich nachhaltig sind. Außerdem muss man häufig mit erhöhten Wegkosten rechnen, weil nachhaltige Waren oft nicht so breit vertrieben werden wie herkömmliche.
Bei den Verwendungskosten fallen besonders die Umstellungskosten ins Gewicht, die nötig sind, um Verhaltensmuster zu ändern. Zum Beispiel müssen wir uns daran gewöhnen, für den Einkauf in einem Unverpackt-Supermarkt eigene Verpackungen mitzubringen.
Menschen entscheiden sich nicht gern, denn das kostet Zeit und Energie. Besonders im nachhaltigen Konsum stehen ihnen viele Hürden im Weg. Darum sollten Marken den Informations-, Such- und Kontrollaufwand so gering wie möglich halten.
Das gelingt durch das Herunterbrechen von Komplexität: Untersuchen Sie die Customer Journey genau und finden Sie heraus, an welchen Stellen eine nachhaltige Kaufentscheidung einen höheren Aufwand erfordert als bei konventionellen.
Das mühelose Orientieren ist wichtig beim Einkauf. Eine hohe Benutzerfreundlichkeit macht ihn leichter und trägt dazu bei, dass Kunden und Kundinnen ihre habitualisierten Verhaltensmuster durchbrechen.
Das Startup alpakas aus Berlin hat erkannt, dass der Einkauf in einem Unverpackt-Supermarkt Extrakosten verursacht. Darum liefert alpakas Bio-Lebensmittel in Mehrwegbehältern nach Hause. Somit unterstützt das Startup den Wunsch der Konsumierenden, auf Plastik zu verzichten. Bereits ein Jahr nach Gründung, expandierte das Startup 2022 aufgrund seines Erfolgs nach München.
Beim Kauf nachhaltiger Waren betrachten wir, neben den Kosten, auch den Nutzen eines Produkts – ob bewusst oder unterbewusst.
Die Leistung konventioneller Angebote besteht meist aus zwei Nutzenebenen:
Bei nachhaltigen Angeboten kommt eine dritte Nutzenebene hinzu:
Diese drei Nutzenebenen stehen in einem ständigen Spannungsfeld zueinander und lösen einen inneren Konflikt während des Einkaufs aus. Beispielsweise schützt ein nachhaltiges Waschmittel durch den geringen Einsatz von Chemikalien das Grundwasser (Sozialnutzen) und fördert das gute Gewissen (Zusatznutzen), jedoch verliert es dadurch an Reinigungskraft (Grundnutzen).
Am Ende wird nach persönlicher Priorisierung entschieden, also mit der Frage: Welche dieser drei Nutzenebenen ist mir am wichtigsten?
Nach der Maslowschen Bedürfnispyramide (sie ordnet menschliche Motive in eine hierarchische Struktur), steht das Befriedigen von Bedürfnissen wie Hunger und Durst, Sicherheit, Zuneigung und Liebe, Selbstachtung und Geltung vor dem Streben nach Selbstverwirklichung und Gerechtigkeit.
Aus diesem Grund kann zum Beispiel die Sicherheit der eigenen Familie bei einer Kaufentscheidung wichtiger sein als die Motivation, nach sozial-ökologischen Werten zu handeln.
Lösen Sie den inneren Konflikt, indem Sie Motiv-Allianzen aus Grund-, Zusatz- und Sozialnutzen schnüren. Dafür müssen Sie zunächst die Motive der Einkaufenden ergründen. Nach welchen Kriterien fällen sie Kaufentscheidungen, welche Motive stehen für Sie an erster Stelle? Nachdem sie die Motive identifiziert haben, suchen sie nach einem Weg, diese zu verbinden. Das Ziel ist, dass der Sozialnutzen den Grundnutzen verstärkt.
Zum Beispiel können grüne Geldanlagen durch das Investieren in nachhaltig agierende Unternehmen (Sozialnutzen) die finanzielle Zukunft der Kunden und Kundinnen sichern (Grundnutzen), weil solche Unternehmen auf lange Sicht ein längeres Bestehen am Markt vorweisen können.
Einen cleveren Schachzug nutzen bereits viele Mode Online Shops wie About You, Otto oder Zalando. Die Modeplattformen bieten Filter an, um die große Angebotsvielfalt nach unterschiedlichen Motiven zu durchsuchen. Beispielsweise können Sie durch eine Filter-Kombination aus Preis und Nachhaltigkeit ihre Ansprüche befriedigen.
Beim Kauf eines nachhaltigen Angebotes fehlt ein spürbarer Effekt – aufgrund seiner zeitlich und räumlich verzögerten ökologischen und sozialen Wirkung.
So wird beispielsweise beim Unterschreiben eines Ökostromvertrags der Strom aus der Steckdose nicht erkennbar anders. Die ökologische Wirkung der Kaufentscheidung ist also nicht greifbar. Solche fehlenden Rückkopplungsmechanismen reduzieren die Anreize für nachhaltigen Konsum.
Um Menschen zu bestärken, dass sie trotz einer nicht erkennbaren Wirkung ihrer nachhaltigen Entscheidung richtig gehandelt haben, spielt das Markenvertrauen eine elementare Rolle.
Für nachhaltigen Konsum braucht es Vertrauen und das basiert auf einer Wechselwirkung aus Transparenz und Glaubwürdigkeit. Denn transparent zu kommunizieren ist die eine Sache – die viel Wichtigere ist, dass Konsumierende ihm Glauben schenken.
Darum rate ich Ihnen zu mehr Authentizität: Seien Sie ehrlich! Sollte Ihre grüne Weste nicht lupenrein sein: Kommunizieren Sie nichts nach außen, was Sie nicht innen leben. Unterschätzen Sie die Menschen nicht. Jeder weiß, wie schwer nachhaltiges Handeln ist.
Einen mutigen Schritt unternimmt der klimaneutrale Mobilfunkanbieter WEtell. Dieser setzt nicht nur auf Transparenz, sondern auf Ehrlichkeit. Auf der Website wird der Status über die erreichte Nachhaltigkeit in Prozent kommuniziert. Während die Kompensation des CO2-Ausstoßes laut Unternehmen bei 100 % liegt, beträgt das gesellschaftspolitische Engagement 60 % und die Nutzung datenschutzfreundlicher Software nur 30 %. Diese Zahlen nutzt WEtell, um die Gründe zu erläutern und das weitere Vorgehen ihrer nachhaltigen Ambitionen zu schildern.
Die Entscheidung für nachhaltigen Konsum wird durch große Informations-Asymmetrien zwischen Marken und Menschen erschwert. 68 % der Verbrauchenden empfinden es schwierig, Informationen zu Umwelt- & Sozialverträglichkeit zu identifizieren (BrandTrust Impact Brands Studie).
So behindern falsche Marketingversprechen, etwa durch Greenwashing, ein klares Urteil zu bilden, ob ein Angebot tatsächlich umwelt- und sozialverträglich ist.
Befähigen Sie die Menschen, unabhängige, sichere Kaufentscheidungen zu treffen. Unterstützen Sie ihre Mündigkeit. Bauen Sie Informationsdefizite ab, indem Sie aufklären: Was macht Ihr Produkt oder Ihre Leistung nachhaltig? Woran lässt sich das erkennen? Setzen Sie auf einfache und klare Aussagen.
Ein weiteres Mittel, um der Unsicherheit entgegenzuwirken, ist das Übertragen von Entscheidungs- und Kontrollmacht. Überlassen Sie Ihren Kunden und Kundinnen beispielsweise die Wahl, wohin ein Teil der Einnahmen fließen soll.
Das vermittelte Wissen und die reduzierte Fremdbestimmung verstärken die Urteilsfähigkeit und geben Sicherheit.
Aufklärung kann ganz einfach sein, das zeigt das Naturkosmetik Label Niyok. Anstelle mit langen Texten über die Inhaltsstoffe zu verwirren, klärt das Label mit einer simplen Klartext-Tabelle auf jedem Produkt auf. Dabei entpuppt sich eine kryptische Angabe wie „Capric Trigglyceride" schnell als pflegendes Kokosöl.
Das zeigt uns die „Attitude Behavior-Gap": Die aktuellen Konsummuster lassen keinen Rückschluss darauf zu, welche Wertevorstellungen die Konsumierenden haben. Nach wie vor bedeutet der Kauf nachhaltiger Angebote für sie ein Plus an Aufwand. Er führt zu mehr inneren Konflikten als der Kauf konventioneller Ware.
Unterstützen Sie die Menschen dabei, den Konsum ihren moralischen Überzeugungen anzupassen: mit passenden Optimierungsmaßnahmen und den vier Nachhaltigkeitshebeln.
Weitere spannende Insights zum Thema finden Sie in unserer Themenwelt "Nachhaltigkeit und Profitabilität".
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Bereits das dritte Mal in Folge wurden wir 2023 vom Wirtschaftsmagazin FOCUS als Top Unternehmensberatung ausgezeichnet. Auch in diesem Jahr wurden die exzellente Leistung und die im Gedächtnis bleibende Kompetenz unserer Berater sowohl von Kunden als auch von Kollegen wertgeschätzt.
Wir freuen uns über diese Wertschätzung und danken unseren Kunden und Kollegen.
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