H&M macht es seit Jahren vor: Die Kollektion, die Modezar Karl Lagerfeld für den Massenausstatter Anfang des neuen Jahrtausends konzipierte, brachte die Modewelt ins Wanken. Im vergangenen Jahr sorgte Vetements unter der Führung des neuen Balenciaga-Designers für Furore: Er kollaborierte mit 17 Streetwear-Marken für die Haute-Couture-Schauen in Paris. Unter den Kooperationspartnern zeigten sich Marken wie Manolo Blahnik und Brioni, aber auch Urban Labels wie Carhartt und Eastpak.
Immer häufiger initiieren High-End-Luxusmarken mit diesem „Proof of Concept" die Zusammenarbeit mit Streetwear Labeln: Off-White entwirft für Moncler, Gosha Rubchinksiy startet eine Capsule Collection für Kappa, Sacai kündigt eine Zusammenarbeit mit The North Face an.
Besonderes Aufsehen erregte die Markenkooperation von Supreme mit einer der einflussreichsten Luxusmarken der Welt – Louis Vuitton.
Gekrönt wird diese Zusammenarbeit mit dem Paradoxon, dass die beiden Modeunternehmen in der vergangenen Dekade vor Gericht zogen, aufgrund eines markenrechtlichen Streits. Damals verwendete Supreme – ohne Einverständnis Louis Vuittons – das ikonische Emblem für seine Skateboards. Jetzt gibt es ironischerweise genau diese Skateboards mit LV-Monogramm in ausgewählten Pop-up-Stores zu kaufen – oder bei Ebay für über 7.000 Euro zu ersteigern.
Wie harmonieren Marken, die auf den ersten Blick gegensätzlich sind?
Grundsätzlich sind Luxusmarken fragiler als andere Marken. Ihre Kontinuität, der zusätzliche emotionale Nutzen und ihre Exklusivität in allen Marketingaktivitäten sind entscheidend für ihren Erfolg. Weil die Fallhöhe weitaus tiefer ist als bei anderen Marken, gehen Luxusmarken kaum Risiken bei Marken- und Stildichte ein. Ein einziger Fehltritt kann enorme Auswirkungen auf die Markenstärke haben. Louis Vuitton musste das am eigenen Leib erfahren. So entpuppte sich die Kampagne AW 13/14 als Skandal, weil sich die Models zu anmutig für den zurückhaltenden Louis-Vuitton-Kunden auf Autos räkelten.
Supreme adaptiert Verhaltensweisen von Luxusmarken
Einen ähnlichen Balanceakt vollbringt Supreme. Als „Chanel of Downtown Streetwear" steht Supreme seit mehr als 20 Jahren für die New Yorker Jugend- und Subkulturbewegungen. Unter dem Druck, immer wieder den Zeitgeist der anspruchsvollen, urbanen Skateboarder zu treffen, zieht sich Supreme stets – kurz vor dem Überschwappen des Hypes in den Mainstream – wieder in die Nische zurück. Die Anerkennung der Szene ist für das Streetwear Label das höchste Gut – nur so kann Supreme seine Jünger an sich binden.
Es kommt nicht von ungefähr, dass Supreme sein Wachstum an der Zahl seiner treuen Fans misst. Elitäre Fan-Communitys organisieren sich eigenständig über Social Media und halten, intrinsisch motiviert, eine hohe Beziehungsqualität aufrecht.
Analog zu Luxusmarken wählt Supreme seine Distributionskanäle sehr selektiv. Vor den weltweit zehn sakrosankten Eigenmarkenläden und raren Pop-up-Stores in den Hotspots der Welt, kampieren die Fans in der Nacht vor Kollektionsveröffentlichungen, wie wir es von Apple kennen. Online werden nur die Basics verkauft, die durch eine künstliche Verknappungsstrategie permanent ausverkauft sind. Restocking findet nicht statt; eine jede Kollektion ist eine „Limited Edition", die in erster Verkaufsinstanz sogar zu einem humanen Preis veräußert wird.
Beide Marken – Supreme und Louis Vuitton – erfüllen Kundennutzen, die weit über die Problemlösungsebene hinausgehen und die Motivlage im Unterbewusstsein adressieren. Aus dem Nukleus der Marke heraus nutzt der Koffermanufakturist LV das mächtige Assoziationspotenzial von Fernweh für das Storytelling ihrer Marke. Supreme hingegen besetzt die wichtigste Sehnsuchtswelt des heranwachsenden New Yorker Teenagers: Coolness. Lebensknappheiten wie diese konkretisieren Träume und schaffen neue immaterielle Nutzenkomponenten für die Kunden.
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Aus welchen Markenmotiven wurde die Kooperation angestoßen?
Per se erwecken beide Labels also schon im Alleingang Begehrlichkeiten. Diese potenzierten sich mit ihrer gemeinsamen Kreation um ein Vielfaches:
Supreme nutzt Kooperationen, um verschiedene Facetten der Marke zu präsentieren und um sich in der Nische zu transformieren. Mit LV konnte die künstlerische Affinität der Streetstyle-Marke verstärkt werden, die häufig mit zeitgenössischen Künstlern wie Marilyn Minter, Jeff Koons oder George Condo arbeitet. In Zusammenarbeit mit LV können punktuell andere Preisstrukturen umgesetzt werden, zumal die Stücke exklusiv über Louis Vuitton Stores vertrieben werden.
Auch Louis Vuitton profitiert: Alleine hätte das Modeunternehmen den „Athleisure"-Trend, der sportliche Elemente in den Alltag transportiert, aus der Marke heraus nicht glaubwürdig besetzen können. In der Partnerschaft gelang dies.
Natürlich müssen auch traditionelle Luxusmarken bisher unbekannte Wege beschreiten, um sich neu zu erfinden. Eingeengt in vorzugsweise klassische Designs, nutzt LV das kollaborationserprobte Label Supreme, um näher an die Dynamik des Marktes heranzukommen und um die Wahrnehmung ihrer Marke auch in anderen Zielgruppen zu beleben. Die disruptive Symbiose der zwei Marken zwingt den Betrachter förmlich zu einer Auseinandersetzung, weil sie den Status quo der Fashion-Industrie herausfordert und neue Möglichkeiten für andere Kollaborationen schafft.
Im Fazit: Beide Marken befruchten sich und fügen sich frische Energie zu. Auch auf Designebene wird deutlich, dass sich die Marken glaubwürdig ergänzen können. Die Faszination der beiden Marken für einander nährt sich daraus, dass beide genau das besitzen, was dem anderen fehlt. Einerseits: Historie, jahrhundertlange Kunstfertigkeit, Qualität und unbestreitbarer Luxus. Andererseits das, was man mit Geld nicht kaufen kann: Street Credibility und Anerkennung.
Sind Streetwear-Kooperationen auch für andere Labels geeignet?
In jedem Fall sollten Markenkooperationen überlegt geschehen. Ein massenwirksamer Ansatz funktioniert bei einer Interaktion dieser Art kaum.
Nehmen Sie zum Schutz Ihrer Marke zunächst eine risikoaverse Position ein und stellen Sie sich folgende Fragen:
1. Wo überlappen sich die Spitzenleistungsprofile der Marken? Wo befruchten sich die Marken gegenseitig? Wo können wir Leistung auslagern und uns ergänzen?
2. Existieren Gemeinsamkeiten in der Markenführung Ist ein ähnlicher Duktus zu erkennen? Haben die Marken den gleichen Anspruch? Haben wir ein ähnliches Werteset?
3. Wird auch unsere Fan-Basis weiterhin adressiert? Lassen wir uns zu sehr von der Gier leiten? Brechen wir charmant Konventionen oder verschrecken wir unsere loyalen Kunden für immer?
4. Können wir der Marke über längere Zeit Energie zuführen? Zahlt die Kooperation auf unsere künftige Markenpositionierung ein? Springen wir nur auf einen Mikrotrend auf, der schnell vergessen wird? Oder ist die Kooperation ein Anstoß, um die Marke längerfristig zu transformieren?
5. Können wir die Kooperation glaubwürdig untermalen? Eigent sie sich, um eine glaubwürdige Geschichte zu erzählen, die unser Storytelling auf eine neue Ebene hebt?
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Dr. Judith Scholz
Partner
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