Es sind nur noch ein paar Wochen bis zum Weihnachtsfest – in vielen Städten und Einkaufsstraßen bimmelt, klingelt und leuchtet es schon, seitdem die Sommerschlussplakate eingeholt wurden. Die Sitte, bedeutende Momente lange vorher mit großem Trara anzukündigen, soll nun vielerorts auch für Weihnachtsmärkte eingeführt werden: Immer mehr Kommunen brechen das ungeschriebene Gesetz, dass Weihnachtsmärkte erst nach dem Totensonntag eröffnen dürfen. Weil Kaufleute und Hoteliers darauf drängen würden, so die Begründung.
Dagegen regt sich Widerstand von kirchlicher Seite. Aber auch aus Markensicht muss man davor warnen, Rituale vorschnell und leichtfertig aufzugeben. Diese sind mitunter die stärksten Treiber für Markenattraktivität.
Die findigsten Marketingexperten wähnen sich in Berlin: Weil sie die Diskussion über den richtigen Öffnungszeitpunkt der vielen Weihnachtsmärkte umgehen wollen, retten sie sich in die Umbenennung zu "Wintermärkten". Ihre Argumentation: Dies würde die Märkte vom religiösen Thema befreien und somit könnten sie die Beginn- und Endzeiten frei festlegen, ohne Kritik fürchten zu müssen.
Dabei hatte sogar die offizielle Kirche die kommerzielle Berechtigung und Ausrichtung der Märkte rund um das Weihnachtsfest anerkannt: "Kirche hat grundsätzlich nichts gegen kommerzielle Interessen", sagt der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski. Aber: "Wenn es auf den Märkten nur um Kommerz ginge, wären sie bald bloß eine Fußnote der Kommunalgeschichte. Die Menschen aber suchen mehr als Konsum und Kommerz." Sie suchen vor allem das Ritual und den Grund, an dem dieses hängt.
Weihnachtsmärkte sind Inszenierungen einer Kultur
Weihnachtsmärkte haben sich als zuverlässige Besuchermagneten für krisengeschüttelte Innenstadtlagen etabliert. Nicht nur das: Der "deutsche Weihnachtsmarkt" wurde als Marke zu einem weltweiten Exportschlager. Nach dem Vorbild von Nürnberg, Aachen oder München entstehen ähnliche Konzepte in vielen Städten Süd- und Osteuropas bis hin nach Übersee. Die Nachmacher haben vor allem die deutsche Weihnachtstradition im Blick, und ihre besonderen Momente von Geborgenheit, Stimmung und Achtsamkeit. Das Thema "Winter" spielt hingegen eine völlig untergeordnete Rolle.
Daraus besteht der Markenkern eines Weihnachtsmarktes:
Es ist eine Kultur, die anderswo auf dieser Welt fehlt. Wird nun eines dieser Kernelemente reduziert, verändert oder eliminiert, dann erleidet die Marke Schaden.
Rituale sind für Marken Gold wert: Sie sorgen für Zugehörigkeitsgefühl und Bedeutsamkeit, sie laden Handlungen emotional auf und unterbrechen den Alltag auf sympathische Art und Weise. Vor allem reduzieren Rituale Komplexität und geben eine klare Orientierung.
Rituale sorgen für Sicherheit: Der "Peace of Mind"-Effekt
Die US-Marke Oreo weiß das besser als alle anderen. Wohl mehr aus Zufall denn aus Strategie entstand das Keksritual "Drehen, lecken, tunken", es gab dem sonst recht austauschbaren Keks einen besonderen Wert. Soziale Medien boten die beste Grundlage, um dieses Gemeinschaftsverhalten zu verbreiten: Mit seiner "Twist, Lick, Dunk"-Kampagne gewann Oreo 2013 über 35 Millionen Facebook-Fans.
Oder die wunderbare Idee mit der "Sommerpause Mon Chéri", mit der Ferrero die Ware Jahr für Jahr werbewirksam aus den Regalen nimmt – wegen des sinkenden Wunsches auf Schokoladegenuss im Sommer. Die "Piemont-Kirsche" gibt es erst wieder ab Herbst.
Das mexikanische Corona-Bier wird mit Zitronenscheibe getrunken – sonst wäre das ein Stilbruch. Und das, obwohl heute niemand mehr befürchten muss, dass der Kronenverschluss angerostet ist, was der Ursprung für dieses Ritual war. Es deshalb abzuschaffen, wäre ein kapitaler Fehler. Unser Gehirn sehnt sich in einer immer komplexer werdenden Welt voller Unsicherheiten nach Momenten der Ruhe und Gelassenheit. Weihnachten und die Märkte in der Vorbereitungszeit lösen diesen Effekt aus: "Peace of Mind" oder "Du kannst Dir sicher sein: Es ist so wie immer".
Rituale: die Königsklasse für Markenloyalität
Das Münchner Oktoberfest würde nichts gewinnen, wenn sein Zeitraum ausgedehnt würde. Kein Opernball in Wien könnte einen zweiten Aufguss vertragen, kein New-York-Marathon einen zweiten Start. Verknappung und Wiederholung bedienen die großen Lebensknappheiten namens Sehnsucht und Sicherheit. Menschen lassen sich gerne von großen gesellschaftlichen Gewohnheiten in den Bann ziehen.
Auch bei Weihnachtsmärkten wie dem "Christkindlesmarkt" (Nürnberg) oder dem "Christkindlmarkt" (München) liegt die größte Markenkraft im ständig wiederkehrenden und sicheren Ritual an Dauer und Angebot. Sie verwässerten ihre Marke, wenn sie sich in die Generik des Winters flüchteten, sie würden zu einer simplen Budenansammlung zur Herbst- und Winterzeit.
Die Diskussion, die aktuell über Beginnzeiten und Namensänderungen von Weihnachtsmärkten geführt wird, wäre bei mächtigen Markenunternehmen wie Ferrero (Mon Chéri), Mondelez (Oreo) und Modelo (Corona) mit nur einem Zwischenruf beendet: "Unsere Markenritual ist unantastbar!" Die Macher der Weihnachtsmärkte sollten nicht glauben, ihr Erfolg läge woanders.
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