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5. September 2019

Ortlieb – so geht moderne Markenführung

Ortlieb steht für wasserdichte Radtaschen made in Germany. Was macht die Marke anders und warum stellt die Markenführung ein Best-Practice dar?

Ortlieb – so geht moderne Markenführung

In der Outdoor-Szene ist Ortlieb nicht nur wegen seiner wasserdichten Fahrradtaschen bekannt – sondern auch wegen seines erfolgreichen Kampfs gegen Amazon. Der mehrstufige Rechtsstreit ging bis an den Bundesgerichtshof. Im Juli 2019 titelte der Spiegel: „Amazon verliert Markenstreit gegen Ortlieb".

Die Hintergründe für den Gang bis vor den Bundesgerichtshof sind eine Blaupause für andere Marken – insbesondere aus dem Outdoor-Business. Diese zittern vor allem vor zwei Herausforderungen: Die jüngeren Zielgruppen, die angeblich fauler werden, und der stark zunehmende Online-Handel. Nun macht ein kleiner Nischenplayer vor, wie moderne Markenführung funktionieren sollte.

Die „Lotsenfunktion der Marke werde ausgenutzt"

Bereits seit 2017 schwelte der Konflikt zwischen den ungleichen Gegnern Ortlieb und Amazon. Auf der einen Seite der Internet-Gigant, die wertvollste Marke der Welt – auf der anderen der Spezialist aus Heilsbronn, einer Kleinstadt in der Nähe von Nürnberg.

Darum ging der Streit: Ortlieb sah eine Verletzung der „Lotsenfunktion" seiner Marke. Konkret: Wenn jemand Ortlieb-Produkte im Internet suchte, wurde der User durch massive Amazon-Anzeigen auf diese Plattform gelockt. Der Fachhandel, zu dem Ortlieb enge Beziehungen pflegt, geriet im Web ins Hintertreffen.

Ortlieb geht seit jeher andere Wege

An Kritikern mangelt es Amazon nicht. Und doch gehen nur wenige Unternehmen so konsequent vor wie Ortlieb. Andere Wege zu gehen scheint für die Franken zum Markenkern zu gehören. Während viele Unternehmen in den 1980er Jahren den Weg gen Asien suchten, um Herstellungskosten zu reduzieren, gründete Hartmut Ortlieb sein Unternehmen und nähte aus einer LKW-Plane die erste Radtasche.

Der Clou: Um sie wasserdicht zu machen, verschweißte er sie. Bis heute macht diese Technik die Taschen einzigartig. Er selbst hatte die Idee in England, als er während einer Fahrradtour im Dauerregen stand, sich über seinen nassen Schlafsack ärgerte und einen LKW samt Plane und trockenen Gütern vorbeifahren sah.

Inzwischen gehört die Marke Ortlieb fest zum Radsportmarkt. Sie wurde zum Synonym für wasserdichte und intelligente Fahrradtaschen. Kein Wunder also, dass das Unternehmen gegen Amazon opponierte, zu wertvoll ist dem Unternehmen die sorgsam aufgebaute Reputation und zu wichtig die Kontrolle darüber.

Also entschied sich Ortlieb für die Fachhandelstreue. Nur ausgewählten Fachhändler erhalten das Recht, Ortlieb Produkte online zu verkaufen.

Die verlockende Versuchung Amazon

Ortlieb beweist Haltung und Mut. Die meisten Marken würden sich über eine derartige Werbeunterstützung durch Amazon freuen und definitiv nicht dagegen vorgehen. Wer will es ihnen aus Vertriebssicht auch verdenken? Schließlich bietet Amazon verheißungsvolle Zahlen: 94 % der Online-Shopper kaufen laut einer Studie des Handelsforschungsinstituts IFH bei Amazon. In den USA nutzen laut dem IFH bereits mehr als die Hälfte der Konsumenten Amazon als Produktsuchmaschine – und nicht mehr Google oder andere Suchmaschinen.

Marken sollten der Versuchung nicht erliegen

Reflexartig könnte ein Geschäftsführer oder Marketingleiter das Handeln Ortliebs mit folgendem Argument abtun: Ein kleiner Nischenplayer könne sich solche Entscheidungen leisten, schließlich verfolge er unter Umständen andere Wachstumsziele als die Big-Player im Outdoor-Business. Trotzdem lohnt es sich für Unternehmen aller Art und Größe, die Entscheidungen von Ortlieb genau unter die Lupe zu nehmen und die Prinzipien hinter dem Handeln für sich zu übersetzen.

Aus Markensicht gibt es nämlich drei gute Gründe, die den Radtaschenhersteller zum Best-Practice machen:

1. Ortlieb ist eindeutig positioniert

Konsumenten suchen bewusst nach der Marke Ortlieb in Suchmaschinen. Das ist ein großer Erfolg, der nur einer klar positionierten Marke gelingt. Ziel der Markenmanager muss es sein, an Gatekeepern wie Amazon oder Google vorbeizukommen, um ihnen nicht die Markenauswahl und deren Steuerung zu überlassen.

Im analogen Handel heißt die Bedrohung für die arrivierten Marken Decathlon: Der französische Händler setzt verstärkt auf Eigenmarken, die er mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis anbietet und damit Kunden anzieht, die keine Markenpräferenzen haben.

2. Ortlieb managt seine Grenzen

Ein Irrglaube von Vertrieb und Marketing ist, dass sich eine Marke ausdehnen muss, um zu wachsen. Das Gegenteil ist der Fall. Je mehr ich die Grenzen meiner Marke manage und lerne nein zu sagen, desto begehrenswerter werde ich. Ortlieb wehrt sich gegen die Macht von Amazon und stärkt den Fachhandel. Die klare Positionierung und das Schwerpunktsortiment mit wasserdichten Radtaschen bieten dem Handel wiederum unschlagbare Argumente für den Verkauf.

3. Ortlieb ist authentisch und zeigt Haltung

Die European Outdoor Group stellt fest, dass die „junge Generation" nicht mehr mit Botschaften à la „Geh raus, das wird toll, Du wirst es lieben" erreicht wird. Die Ausrede für kriselnde Marken wie Jack Wolfskin liegt also schon parat. Dass die Millennials viel Zeit beim Gaming verbringen, lässt sich durch Studien belegen. Diese Herausforderung scheint also real, die Zielgruppe wird kleiner, aber anspruchsvoller, was die Botschaften angeht.

Dass Ortlieb klar Stellung bezieht und sich nicht scheut, in einen aufwendigen Rechtstreit mit einem der größten Unternehmen der Welt einzutreten, beweist: Die Marke besitzt Haltung und ein hohes Maß an Authentizität – genau die richtigen Mittel, um die nach Sinn und Purpose suchenden Millennials zu erobern. Dieser Sehnsucht gerecht zu werden, das gelingt inzwischen einigen Marken aus sehr unterschiedlichen Branchen – etwa auch der Luxusmarke Gucci.

 

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Autor

Colin Fernando

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