Seit November 2017 haben 90 Flugzeuge und 3.000 Mitarbeiter der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin eine neue Aufgabe: Sie sollen an den Touchpoints das Markenversprechen des neuen Eigentümers Lufthansa einlösen. Das Problem: Marken sind Ausdruck gelebter Identität und das Ergebnis erlebbarer Spitzenleistung. Deshalb sind sie nicht einfach durch ein Rebranding von heute auf morgen erfolgreich austauschbar.
Erfolg oder Scheitern bei M&A: Die Markenkompetenz macht häufig den Unterschied
Während umfassende Due-Diligence-Prüfungen sowie Planungen für Finanzen und andere Faktoren fester Bestandteil eines Deal-Making-Prozesses sind, wird die Marke oft vernachlässigt oder nur nachträglich „mitgedacht". Aber der Transaktionserfolg – die langfristige Wertgenerierung – hängt von der Entscheidung ab, ob, wann und wie eine erworbene Marke in das bestehende Portfolio überführt wird.
1. Kurzfristiges Vergnügen oder langfristiges Glück
Der Target Search erfolgt vor allem anhand von Finanzkennzahlen – aber die Prüfung des Markenfits, also die Kompatibilität der Marken und ihrer Werte, bleibt oft aus. Was würde passieren, wenn Besitzer eines Porsche 911 mit dem Volkswagen-Logo herumfahren müssten, weil der Automobilkonzern eine Ein-Markenstrategie beschließt? Aber auch eine Einzel-Markenstrategie ist nicht die Lösung, wenn die Marken – man denke an Daimler/Chrysler – nicht zusammenpassen. Dennoch werden Entscheidungen über die künftige Markenportfoliostrategie in der Regel unabhängig vom Business Forecasting getroffen.
2. Markenzensur statt Markenintegration
Bei Merger & Akquisitions (M&A) verstehen viele Entscheider die Marke als Nebenkriegsschauplatz und blenden ihren Vermögenswert aus, vor allem in der Anbahnungs- und Entscheidungsphase. Auch die Berater aus der Finanz- und Paragraphenwelt sehen in Marken lediglich Kosmetik und eine einzelne Kennzahl. Damit bleibt die Bedeutung der Marke in den M&A-Prozessen – und damit für den Unternehmenserfolg – meist unerkannt, oft wird sie massiv unterschätzt.
Dabei eröffnet das Handeln als Marke bedeutende Kosten- und Wertsynergien. Außerdem bietet sie über alle M&A-Prozesse hinweg Klarheit, Orientierung, Einheit und Solidarität. Der Vermögenswert hat zwar eine Schlüsselrolle bei einer Unternehmensfusion – doch die Marke ist kein fester Bestandteil der M&A-Strategien.
Die verantwortlichen Stakeholder reduzieren die Marke auf einzelne Situationen, anstatt sie als strategisches Managementsystem zu betrachten, das über alle Phasen systematisch mitgedacht werden muss.
3. Bekannt statt begehrt
Midea für Kuka, P&G für Gillette oder Vodafone für Mannesmann: Diese Unternehmen zahlten für die Marke des Targets ein Vielfaches ihres Umsatzes oder Buchwerts. Häufig wird dazu der „Markenwert" von der Bekanntheit abgeleitet. Doch diese Kennzahl sagt nicht zwangsläufig genug über die Wertschöpfungskraft aus. Denn Marken haben in der Regel kein Bekanntheits-, sondern ein Attraktivitätsproblem – siehe Bionade, Abercrombie & Fitch oder die Deutsche Bank. Deshalb sollte die Due Diligence zunächst die Wertschöpfungskraft und das Wachstumspotential einer Marke prüfen, und anschließend das Risiko der potentiellen Markenbeziehung.
So hätte Alaska Airlines erkannt, dass Virgin America für ein spezifisches Erlebnis steht, für das Kunden gerne mehr bezahlen. Und sie hätten erkannt, dass dieses Markenversprechen unter Virgin America nicht gehalten werden kann und somit an Glaubwürdigkeit und Attraktivität verliert. Zwölf Jahre war Virgin America „Best Airline in the States" und dennoch eliminiert Alaska Airlines diesen Vermögenswert nachhaltig. Richard Branson hat es so formuliert: "Alaska is very foolish to just absorb [Virgin America]".
4. Kosmetik statt Kulturtransformation
Drei von vier Unternehmen passen den Look der erworbenen Marke in den ersten sieben Jahren an, jedoch bleibt das Markenerlebnis häufig unverändert. Ein Rebranding kann zwar ein neues Markenversprechen enthalten, es löst aber noch keine Kulturtransformation aus. Im Gegenteil!
Verlieren Kunden und Mitarbeiter die Beziehung zu einer vertrauten Marke, führt das häufig zur Orientierungslosigkeit und zu Widerstand. Die Folgen: Die Integration dauert länger, Zusatzkosten entstehen und die kalkulierten Synergien bleiben aus. Wer weiß schon, ob es Opel künftig noch geben wird, oder ob die Assoziation mit Peugeot auf die Attraktivität der einstigen Kultmarke einzahlen wird?
Wie sieht es bei Lufthansa und Air Berlin aus? Nach dem Motto „Zeit ist Geld" passt die Kranichlinie über Nacht den Stil an und gibt damit ein klares Markenversprechen ab. Die sensibilisierten Passagiere werden darauf achten, ob das Markenversprechen an allen Touchpoints eingehalten wird.
5. „Wie viel?" statt „Wie?"
In der Due Diligence wird eine Marke bewertet, aber nicht der Vermögenswert entschlüsselt. Dadurch wissen Unternehmen zwar, wie hoch das Premium ist, aber nicht, wie sie den Vermögenswert absichern und steigern. Symbolisch dafür sind Amortisationen in Millionenhöhe, wie bei der Übernahme von Kabel Deutschland oder Mannesmann durch Vodafone.
In der Überflussgesellschaft ist die Marke das wirkungsvollste Instrument, um Kunden sowie Mitarbeiter anzuziehen und zu binden. Ein hoher Markenwert bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass ein Unternehmen das nötige Wissen erwirbt, um mit der erworbenen Marke systematisch mehr Wertschöpfung bei den Interessensgruppen zu generieren.
6. Gerne verwechselt: Markenbewertung und realer Markenwert
Das Verhalten aller Stakeholder-Gruppen determiniert die Business Performance, die wiederum von der Markenwahrnehmung beeinflusst wird. Die rund 500 existierenden Markenbewertungsmethoden haben eine Gemeinsamkeit: Alle reduzieren den Markenwert auf die Blickrichtung des Kunden. Damit gehen riskante Annahmen einher: Die kalkulierte Wertschöpfung setzt voraus, dass die Markenstärke konstant bleibt.
Außerdem blenden die Modelle von Interbrand & Co. aus, dass der Wert der Marke nicht nur aus Kundensicht zu beurteilen und auf den Umsatz zu reduzieren ist, sondern beispielsweise auch die Stakeholder-Attraktivität zu bewerten ist. Das Resultat sind Über- bzw. Unterbewertungen der Marke und damit des Unternehmens.
7. Funktion statt Disziplin
Eine Marke ist weder Kommunikation noch eine Abteilung im Unternehmen, sondern der verdichtete Ausdruck unternehmerischer Spitzenleistung – und damit die Existenzgrundlage des Unternehmens. Wird es Lufthansa gelingen, der Air-Berlin-Übernahme eine Bedeutung jenseits des Geldverdienens zu geben?
Eine jede Transaktion bedeutet Veränderung und verursacht Unsicherheit. Wie ein Leuchtturm kann die Marke Mitarbeitern und Kunden in solch turbulenten Zeiten Orientierung und Sicherheit geben. Eine schnöde Erklärung allein reicht nicht aus, um ihre Herzen zu gewinnen.
Lufthansas Übernahme von Air Berlin wird ein viel zitiertes Beispiel werden. Die Marke, genutzt als Managementsystem, kann eine Schlüsselrolle bei der Zusammenführung von Unternehmen spielen. Ein klar definierter und artikulierter Zweck kann den Stolz der Mitarbeiter stimulieren.
Markenzentrierte M&A bedeutet: Marken-Diamanten finden und profitabel verkaufen
Viele Übernahmen – ob AOL durch TimeWarner oder Dresdner Bank durch Allianz – machen aus Zahlensicht Sinn. Doch warum scheitern über 50 % der Fusionen? 70 % bis 90 % bleiben unter den Erwartungen.
Eine frühzeitige Prüfung der Markenpassung reduziert das Risiko von Überbewertungen und steigert die Performance. Soll die Marke im M&A-Prozess eine wichtige Rolle spielen, bedarf es spezieller Methoden für Targeting, Due Diligence, Bewertung, Portfoliostrategie und den Integrationsprozess.
Diese neun Fragen sollten sich Entscheider und Berater stellen:
Markenzentrierte M&A heißt, die Marke in den bekannten Prozessen zu integrieren und über alle Phasen hinweg „mitzudenken". Lohnt sich dieser Mehraufwand? Ja – allein die Vorstellung, ein Prozent zusätzliche Kosten- und Wertsynergien zu generieren, sollte motivieren, die Marke bei der Transaktion als strategisches Managementsystem und zentralen Werttreiber zu nutzen.
Wer beim Flirten nur auf die Maße schaut, hat in der Regel nur ein kurzes Vergnügen und muss mit den langfristigen Folgen zurechtkommen. Übernahmen wie die von Air Berlin durch Lufthansa sind vor allem eine Finanzbetrachtung – jedoch beruht auch hier der langfristige Erfolg auf eher wenig greifbaren Faktoren als auf dem Ergebnis. Dennoch blenden die verantwortlichen Entscheider sowie Paragraphen- und Finanzexperten die weniger harten Fakten, vor allem die Marke, bei M&A-Entscheidungen häufig aus. Auch bei den ersten erkennbaren Markenentscheidungen Lufthansas, wie die verfolgte Ein-Markenstrategie, deutet viel darauf hin. Die Folge: Ihre Ziele rücken nicht nur in weite Ferne, sondern werden nicht selten unerreichbar.
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Benedikt Streb
Partner
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