Die Modekunden – früher waren sie eher passive Beobachter, heute fallen sie auf als dominante Akteure. Inmitten boomender Online-Shops und florierender Instagram-Accounts urteilen sie über die neusten Kreationen der Modeschöpfer. Ihre Marktmacht wächst. Der Modemarkt zwingt die Marken, sich diesem kundeninitiierten Umbruch zu stellen. Es geht um strukturelle Änderungen in der Distribution, schnellere Erneuerung der Produktportfolios, mehr Aufmerksamkeit, direkte Kommunikation und Mitsprache. Doch die Marken halten nicht Schritt.
Modeunternehmen müssen sich wappnen für die zwei großen Veränderungen in ihrer Branche: Vertikalisierung und Digitalisierung. Gelingt ihnen das nicht, werden sie in die Ecke gedrängt. Während die Vertikalisierung bei vielen Modeanbietern wie Zara, Mango und H&M schon den Praxistest durchläuft und iterativ verbessert wird, ist sich die Branche noch im Unklaren, was Digitalisierung in Gänze überhaupt bedeutet.
Immer noch wird das Produkt als Heilsbringer in den Mittelpunkt gestellt – während die digitalen Zusatzleistungen für den Kunden vernachlässigt werden. Geprüfte State-of-the-Art-Konzepte scheinen noch nicht zu existieren.
Wo steht sie denn heute, die einstige Speerspitze der industriellen Revolution? Und wie können Modemarken ihren Glanz aus alter Zeit auffrischen?
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Digitalisierung braucht eine Re-Evaluation des Geschäftsmodells
Der GermanFashion Modeverband ermittelte mit einer Studie zum Digitalisierungsgrad der Branche, dass der Fortschritt digitaler Prozesse mit Unternehmensgröße und Umsatzklasse korreliert. Kleine Unternehmen oder Mittelständler scheinen hier die Verlierer zu sein. Das zeigt auch die schrumpfende Zahl an Betrieben der Textil- und Bekleidungsindustrie in Deutschland um 59% seit 2004 (Quelle: Statista). Offensichtlich können sie sich Digitalisierung nicht leisten! Kaum verwunderlich, dass viele nur einen sehr fragmentierten Ansatz auf Projektebene verfolgen – und keinen holistischen, um digitale Prozesse in das Geschäftsmodell zu integrieren.
Ebenfalls ist zu beobachten, dass Digitalisierungsstrategien aufoktroyiert werden, ohne zuvor eine Prüfung des Geschäftsmodells vorzunehmen. Allerdings lässt sich ein innovatives Geschäftsmodell nur in den wenigsten Fällen vom bestehenden abpausen. Vielmehr ist Umdenken gefragt: Die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Textiliten und Händlern funktioniert immer weniger, die Schlüsselpartner aus dem Whole-Sale schwächeln. Kernkompetenzen wie das eigentliche Modedesign werden vielfach kopiert und stellen keine herausragende Spitzenleistung mehr dar.
Wer seine Modekunden nicht kennt, ein irrelevantes Kundenproblem löst oder ein fehlerhaftes Businessmodell betreibt, wird die Digitalisierung nicht konsequent umsetzen können.
Ein erstes Projekt, das ein digitales Wertschöpfungsnetz auf Marktfähigkeit testet, ist die Adidas Speedfactory in Ansbach. Dort wird die Kernkompetenz auf ein neues Geschäftsmodell übertragen. Mit hochflexiblen und sehr schnellen Produktionsmethoden ist Adidas in der Lage, in kürzester Zeit individuelle Laufschuhe anzufertigen und an die Wünsche der Kunden anzupassen. Getreu des Konzepts „See Now, Buy Now" wird hier Ware gefertigt, die nur fünf Stunden nach seiner Präsentation auf dem Laufsteg angefertigt und an den Kunden versandt werden kann. Um hierzulande schneller und personalisierter produzieren zu können, veränderte Adidas sein Geschäftsmodell radikal: mit dem Rückzug der Produktion aus Asien nach Deutschland, zum Wohle der Kundenzentrierung.
Learning #1:
Textilunternehmen brauchen dringend Strategien für die digitale Welt, um zu überleben. Sie müssen die Megatrends der Vertikalisierung und Digitalisierung berücksichtigen, um ihre Geschäftsmodelle und Markenstrategien zu schärfen. In diesem Zuge müssen sie die gesamte Wertschöpfungskette auf den Prüfstand stellen und lernen, vom Kunden her zu denken.
Digitalisierung erzeugt eine noch nie dagewesene Nähe
Verwöhnt durch andere Branchen entwickelten die Kunden eine gewisse Anspruchshaltung, auch großen Textilunternehmen gegenüber. Nach dem Erfolg der ersten Kollektion drängt Retail-Riese Amazon mit selbstlernenden Algorithmen weiterhin aggressiv in den Markt. Bis 2020 will Amazon mit individuellen Outfits und intelligenten Services den Modehandel dominieren und das Cross-Selling-Potential für sich nutzen. Voraussetzung hierfür ist ein möglichst exaktes digitales Kundenporträt, um sich möglichst nah an jeden einzelnen und seine Wünsche anzuschmiegen – dazu setzt Amazon all sein Wissen aus den Shopdaten ein. Von diesem engen Beziehungsverhältnis können wir lernen.
Learning #2:
Wer die Meinungen und Verhaltensweisen seiner Kunden kennt, ist in der Lage, mit einer fantastischen Detailschärfe auf jeden einzelnen einzugehen. Die Werte einer Marke kann ein Unternehmen dazu explizit nutzen, um sich mit den Kunden zu verbrüdern und mit ihnen eine Einheit zu bilden. Stellen Sie sicher, dass die Kundenbeziehungen mit Ihrer Marke gesteuert und die Schnittstellen zu den Kunden mit der Marke besetzt sind!
Emotionen lassen sich nicht digitalisieren
Modeartikel sind emotionale Produkte, die eine Bühne zur Inszenierung und für gefühlvolle Bildwelten benötigen. Mit solchen Erlebnissen und Emotionen gebieten Marken der drohenden Verödung und Angleichung in Innenstädten Einhalt. Monolabel-Stores oder Wholesale-Spezialisten wie das Modehaus Garhammer veredeln den Besuch mit einfallsreichen Impulsen und geschulter Beratung, mit der sie Kunden auf ihrem jeweiligen Kenntnisstand abholen.
Auch ursprünglich komplett digitale Marken wie mymuesli drängen in den stationären Handel und suchen dort nach Möglichkeiten, um sich wirkungsvoll zu präsentieren. Digitalisierung heißt also nicht, dem stationären Handel den Rücken zu kehren. Vielmehr bedeutet es die Chance, die Touchpoints der Online- und der Offline-Welt unmerklich zu verknüpfen, um dem Kunden ein Kaufangebot ganz nach seinem Geschmack zu machen – ohne situative Bindung und Verpflichtung eines einzelnen Markenkontaktpunktes gegenüber. Ein Markenunternehmen muss dazu die Medienwelten seiner Kunden kennen und jene Kanäle, die diese am liebsten nutzen, mit einer Omni-Channel-Strategie bestmöglich verzahnen.
Learning #3:
Das Shoppen im Web verändert das Einkaufsverhalten der Kunden. Das bedeutet: Das Offline-Einkaufserlebnis kann nicht 1:1 auf die Online-Vertriebswege projiziert werden – der Kunde hat hier bereits andere Verhaltensmuster adaptiert. Es bedarf einer Neugestaltung, dank der die Diskrepanz zwischen Erwartungshaltung und Markenerlebnis möglichst gering ausfällt. Die Herausforderung dabei: ein einheitliches Markenerlebnis zu schaffen und dabei das gesamte Ökosystem des Kundenerlebnisses zu berücksichtigen.
Was heißt das für Ihre Marke?
Die Marke bietet sich als adäquates Mittel an, um der Profilierungs- und Ertragsproblematik vieler Unternehmen der Modebranche entgegenzuwirken. Erst eine Marke verleiht digitalen Auftritten Bedeutung, weil sie sich – im Gegensatz zu Produkten oder Technologien – als beziehungsfähig erweist.
Bevor Sie einsteigen in die Digitalisierung: Stellen Sie sicher, dass Sie Ihre Marke und ihr übergeordnetes Ziel gut kennen – und wie die Digitalisierung als Mittel zum Zweck eingesetzt werden kann, um ihre strategischen Ziele zu erreichen.
Wer seine Stärken in der Offline- als auch Online-Welt ausspielt und den Kunden mit übergreifenden und kooperativ angelegten Systemen Angebote einer neuen Art macht, erarbeitet sich einen unschätzbaren Wettbewerbsvorteil. Eine Marke wird erfolgreich sein, wenn sie an allen Markenkontaktpunkten das Verlangen der Kunden nach Raffinesse und dem Besondern stillt. Dann ist sie für das digitale Zeitalter bestens gerüstet.
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Dr. Judith Scholz
Partner
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